Schön war’s, das PolitCamp 2009 in Berlin. Ich war ja ein bisschen skeptisch, ob man mit 600 Leuten irgendwas produktives hinbekommen kann und auch wenn man sich über die Produktivität streiten kann, so war es doch ein gelungener Event. Auf jeden Fall hat es ein paar interessante Denkanstösse und Motivation geliefert, an diesem Thema weiterzumachen.
So waren z.B. die von Ralf Bendrath und Stefanie Sifft erläuterten theoretischen Demokratiegrundlagen recht hilfreich, um das ganze Camp gedanklich etwas zu verorten (zumindest für mich). Es wurden z.B. die liberale und die deliberative Demokratietheorie erläutert. Ersteres bedeutet mehr oder weniger, dass Repräsentanten vom Volk gewählt werden, aber keine öffentliche Meinungsbildung stattfindet. Es gibt „nur“ Transparenz, so dass die Bürger beobachten können, was die Politiker machen und andersrum. Diese Transparenz dient aber nicht zur Einflussnahme sondern nur der Entscheidung, ob man dieselben Politiker nochmals wählt oder nicht.
In der deliberativen Theorie kommt dann noch die öffentliche Meinungsbildung hinzu, es gibt einen Dialog zwischen Politikern und Bürgern.
Die Frage, die sich vielleicht das ganze PolitCamp hätte stellen können war: Welche Art von Demokratie findet im Netz statt?
Dass das Netz per se für Demokratie sorgt, wurde nämlich von den beiden bestritten, denn auch die chinesische Regierung bloggt (wenn auch unter falschen Namen), es kommt mehr darauf an, was die Gesellschaft draus macht.
Und der Stand scheint eher der zu sein, dass es eine Segmentierung gibt, so dass kleinere Zirkel teilweise sehr detailliert und auch fundiert über ein Thema diskutieren. Es sind aber meist Echo Chambers, d.h. es dringt wenig bis nichts nach aussen, wie man vielleicht beim aktuellen Thema der Netzzensur sieht. Dies kann mehrere Gründe haben, z.B.:
- Man ist nicht daran interessiert, sich mit der „Aussenwelt“ auseinanderzusetzen. Z.B. weil man die aktuelle politische Struktur nicht mag und man sich daher gar nicht mit Politikern auseinandersetzen will
- Man ist zu sehr Experte. Wie Volker Beck in der Twittersession ja schon darlegte, verstehen Politiker nicht allzuviel von Technik und wenn man mit technischen Details kommt, dann machen die dicht. Man muss also zusehen, dass die Inhalte nach aussen irgendwie „übersetzt“ werden.
Ich denke beides sehen wir teilweise in der Diskussion um die Netzzensur.
Es geht also generell um Teilöffentlichkeiten, die es aber nicht ins grosse Ganze schaffen und damit nicht die notwendige Öffentlichkeit, um in der Demokratie wirksam zu sein (irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass ich mal schreiben würde, als wolle ich Politik studieren und da ich das auch nie gemacht habe, bitte ich Fehler zu berichtigen).
Somit wäre also die deliberative Demokratietheorie hier nur bedingt anzuwenden, denn eine öffentliche Meinungsbildung findet nicht statt. Wie brandenblog so schön schrieb:
Was bleibt? Wir haben keine Relevanz, aber wir machen das Beste draus. Immerhin!
Wie ich schon auf Twitter schrieb, hat aber auch dann wohl Anne Will nicht viel mit dem deliberativen Modell zu tun, denn von einem Dialog kann man da ja nun auch nichts ausmachen.
Was aber bleibt ist dennoch eine Chance für das liberale Demokratiemodell (hat im übrigen nichts mit der FDP zu tun), denn die Transparenz scheint ja doch mit den Hilfsmitteln des Internet zuzunehmen. Politikerlügen z.B. können schneller aufgedeckt werden und vielleicht mag auch die Internetnutzung der Politiker evtl. ein paar Früchte tragen (auch wenn das alles noch meist nicht Cluetrain ist).
Wie geht es weiter?
Man muss nun aber auch sehen, dass noch alles sehr in den Startlöchern steht. Themen wie Vorratsdatenspeicherung und Netzzensur sind noch sehr neu und vorher gab es vielleicht auch nicht soviel Grund und Motivation von seiten der Netzgemeinde, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und nun, da das alles passiert, ist es vielleicht erstmal nur natürlich, dass man sich erstmal mehr mit Gleichgesinnten oder solchen austauscht, die dasselbe Medium (und nicht etwas Faxe) nutzen.
Aber das muss ja nicht so bleiben, denn wenn man nur in seinem engen Zirkel diskutiert, wird sich nichts ändern und diese Unzufriedenheit mag evtl. dazu führen, dass man nach Wegen sucht, Massenmedien und Politiker zu erreichen.
Hier ein paar Probleme auf dem Weg, die mir so einfallen:
- Wie kommt man an die notwendigen Materialien, um ein Thema zu bearbeiten?
- Wie kommt man zu einer sinnvollen Liste von Argumenten. Möglichst konsistent.
- Wie übersetzt man die komplexen Sachverhalte in eine Sprache, die Massenmedien und Politiker gleichermassen verstehen?
- Wie kann die Netzgemeinde mobilisiert werden, so dass man z.B. Faxe an seinen Abgeordneten schickt?
Ein paar Ansätze sieht man vielleicht beim AK Vorrat und beim AK Zensur, auch wenn ich hörte, dass der erstere schon wieder etwas einschläft, da das VDS-Gesetz gerade in Karlsruhe liegt und nicht viel passiert.
Aber vielleicht kann man das noch auf den nächsten Level heben.
Die Lösung ist natürlich eine Web-Plattform
Wie wäre es mit einer Web-Plattform, auf der die Argumente entwickelt werden können und nachher ein oder mehrere Dokumente herauskommen, die man seinem Abgeordneten oder Journalisten schicken kann? Dazu wäre es sinnvoll, noch die Kontaktdaten der Abgeordneten und anderen Stellen zu vermerken, so dass es möglichst einfach wird, aktiv zu werden.
Dies könnte man z.B. in Kampagnen organisieren, die aus einem Diskussionsforum/Mailingliste, einem Platz zur kollaborativen Bearbeitung von Dokumenten und einer Datenbank von Adressen und Telefonnummern bestehen. Man könnte Netzaktivisten dann über einen Feed etc. über neue Kampagnen oder neue Entwicklungen informieren. Dann bleibt es der Einzelperson nur noch überlassen, das Fax zu schicken (was bei einer entsprechenden Anzahl das gemeine Politikerfax hoffentlich zum Überlaufen bringt).
Wozu das Ganze?
Sicherlich ist die Netzgemeinde im Moment eher klein, aber das kann sich ja ändern. Auch sollte es zumindest erreicht werden, in die Diskussion einsteigen zu können. So blieb allerdings der Politikerstuhl bei der Netzsperren-Session auf dem PolitCamp leider noch leer. Dies muss sich ändern!
War das PolitCamp ein Erfolg
?
Das ist sicherlich schwer zu sagen, aber ich sehe es zumindest als einen ersten guten Schritt in die Richtung. An Politikern waren vielleicht eh erstmal nur die da, denen das Thema eh liegt und ich habe sie auch so ein bisschen in Diskussionen vermisst, wo es darum ging, mehr Dialog zu schaffen.
Aber da die Veranstaltung eben nicht ganz so klein und auch die Presse anwesend war, mag sie ein gewisses Signal aussenden, dass hier etwas neues entsteht und man das vielleicht mal beobachten sollten (aber nicht regulieren!).
Von daher hoffe ich auf weitere PolitCamps und gerne auch mal europäische, denn dieses Thema ist vielleicht eh generell noch viel unterentwickelter.
Von daher: Weiter so!
Fotos auf flickr findet man hier und viele Blogbeiträge hier. (leider nicht alle, so fehlt z.B. mein Netzsperren-Beitrag).
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