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Wer IKT sagt, hat schon verloren

Gestern  hat in Stuttgart der 4. nationale IT-Gipfel stattgefunden (das spricht man Ihh-Tee-Gipfel aus) – eine Veranstaltung, wo sich die politische und wirtschaftliche Elite trifft. Elite, d.h. viele Bundesminister und viele wichtige Konzern- und Verbandschefs. Laut der Website ist das Ziel klar definiert: „Der IKT-Standort Deutschland soll an die Weltspitze kommen“. Was heraus kam, ist wohl mehr eine überdimensionierte Pressekonferenz.

Daher begann es auch gleich mit einem Pressefrühstück mit unserem neuen Innenminister, Herrn de Maizière. Und Presse meint hier natürlich Presse, es meint nicht Blogger und es meint auch nicht die Möglichkeit, remote Fragen per Twitterwall o.ä. stellen zu können. Der Inhalt war ähnlich progressiv, so erkannte der Minister:  „Im Internet geschehen viele merkwürdige Dinge“ und auf die Frage nach der Vorratsdatenspeicherung holte er aus und erklärte: „Es werden Daten angehäuft von irgendjemand und keiner diskutiert die Glaubwürdigkeit. Da kümmert sich auch keiner drum“. Wie das nun zusammenhängt, blieb für mich offen. Man mag ihm aber zugute halten, dass er selbstkritisch mit den langen Laufzeiten der vielen Bundesprojekte umging.

Auch gefragt hat er viel, z.B.

Wie zuverlässig sind Daten?

Wie können wir Kriterien für die Zuverlässigkeit definieren?

Brauchen wir eine staatliche Suchmaschine?

Gibt es da eine Lotsenfunktion des Staates in der Masse der zur Verfügung stehenden Daten?

Beantwortet hat er diese Fragen leider nicht und es schien auch kein Forum, ob nun online oder offline, zu geben, wo man diese Fragen hätte besprechen können.

Dann kamen die Grussworte dran, voran das von Herrn Brüderle. Hörte man ihm zu, hätte man der Meinung sein können, dass Deutschland schon längst an der Weltspitze angekommen sei. Er lobte den Bund, das Land BW (Gradmesser für den Erfolg: hat viele Patente im IT-Bereich) und sprach vor allem oft das Kürzel „IKT“ (sprich Ihh-Kah-Tee) aus. Auch weitere seltsame Begriffe kamen aus seinem Mund, es seien  „Datenautobahn“, „Beton und Bytes“ oder „Deutschland Valley“ genannt. Als Punkte, die man dennoch mal angehen sollte, nannte er vor allem den Breitbandausbau (mit der eher bescheidenen Zielsetzung von 50 Mbit/s bis 2014) und oft auch Automobilindustrie und Maschinenbau. Und so sprach auch als letzter Redner noch ein Vertreter des Maschinenbauers Festo, der sich aber ein bisschen in Buzzword-Bingo verlor.

Worum es dabei eher weniger ging, war das Internet. Es ging zwar manchmal um Theseus, einem Projekt im Bereich „Semantic Web“, über das ich bei einem Vortrag vor 2-3 Jahren nur gelernt habe, dass es keine Suchmaschine werden solle und das wahrscheinlich schon wieder veraltet sein dürfte, sollte es irgendwann tatsächlich nochmal das Licht der Welt erblicken. Viel Staatsgelder werden bis dahin natürlich auf der Strecke bleiben bzw. in Grossinstitutionen und -konzernen versickert sein. Ähnlich sieht es wohl auch bei den weiteren von ihm genannten Grossprojekten aus, als Beispiel seien DE-Mail oder die Gesundheitskarte erwähnt.

Trotzdem müssten wir uns laut BITKOM-Chef Scheer nicht verstecken, denn „iTunes würde ohne SAP nicht laufen“. Da bin ich ja froh.

Reality-Check

Nun kann man natürlich im Schneckenhaus sitzen, den eigenen Bauchnabel betrachten und meinen, man sei ganz toll. Wahr wird es dadurch aber noch lange nicht. Das Feld der Zukunft ist und bleibt das Internet und wenn wir uns hier anschauen, wer den Ton angibt, so ist dies nicht Deutschland oder gar Europa. Nein, es ist die USA. Deutschland ist eigentlich nur für eine Sache bekannt oder gefürchtet (je nach Sichtweise): Den Schutz der Privatsphäre. Sieht man diesen hierzulande eher als löchrig an, so sind wir dennoch international betrachtet dort weit vorne.

Die Kehrseite der Medaille ist aber vielleicht, dass wir Deutschen neuen Technologien gegenüber vielleicht nicht ganz so aufgeschlossen sind. Sehen wir uns beispielsweise den Bereich Social Media an, so glänzt Deutschland abgesehen von ein paar Vorreitern doch eher durch Trägheit, evtl. eben auch wegen der Angst vor der Verletzung der Privatsphäre. Deutsche probieren auch nicht einfach mal etwas aus. Dem stehen erstmal viele Bedenkenträger im Weg. Und einen Fehlschlag sollte man sich schon gar nicht erlauben.

In den USA, vor allem der Westküste, scheint dies anders zu sein. Dort probiert man einfach mal etwas aus, setzt sich zusammen, um neue Protokolle zu definieren und bekommt vor allem auch viel einfacher finanzielle Unterstützung. Sicherlich gehen viele der dort gegründeten Startups auch wieder den Bach runter, aber anscheinend rechnet es sich trotzdem.

Und dies ist es auch, wo eine Bundesregierung eigentlich ansetzen sollte. Anstatt nach einer staatlichen Suchmaschine zu fragen oder Grossprojekte zu starten sollte man eher die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass solche Dinge aus dem Markt heraus entstehen. Es muss so einfach wie möglich seine, eine Idee umsetzen zu können, ohne dass man Angst vor Abmahnungen oder Störerhaftung haben muss. Dasselbe gilt für die Finanzierung. Gerade bei den Grossprojekten sieht man doch, dass Innovation so nicht funktioniert. Stattdessen versickern viele Steuergelder.

Dann sollte man auch mal anfangen, nicht nur über die Länder und den Bund zu reden. Wir leben in einer globalisierten Welt und Innovation im Bereich Internet findet vor allem durch internationale Zusammenarbeit statt. Führend natürlich wieder Westküste USA. Aber schaut man sich mal die ganzen Gruppen rund um neue Web-Standards an (OpenID, OAuth, Webfinger, XRD, UMA, Data Portability Project usw.) so findet man dort fast keine deutsche Beteiligung (oft scheine ich sogar der einzige Europäer dort zu sein). Dies ist insbesondere interessant, da deutsche Firmen diese Techniken ja durchaus nutzen (wenn auch meist Jahre später) und sich dann Problemen konfrontiert sehen, die man durch frühe Mitarbeit hätte lösen können (z.B. Probleme verursacht durch die speziellen Datenschutzgesetze Deutschlands).  Hier muss man ansetzen und sich überlegen, wie man dieses ändern kann.

Ändert sich dies nicht, so hinken wir immer hinterher und als Beispiel dazu nochmal Theseus: Während Europa seit Jahren daran forscht, gibt es in den USA schon lange  diverse Startups, die sich mit dem Thema Semantic Web beschäftigen. Diese  sammeln heute schon wertvolle Real-World-Erfahrungen, während Theseus den akademischen Elfenbeinturm noch nicht verlassen hat und evtl. auch nie verlassen wird.

eGovernment / Government 2.0

Das Schlusswort der Veranstaltung  sprach die Kanzlerin. Auch sie erwähnte nochmal Theseus, als sei es der heilige Gral und freute sich über die Integration in die digitale Bibliothek. Vor allem aber schien sie darüber froh zu sein, dass man auch noch ohne „all diese Dinge“ leben könne und nannte es „das normale Leben“. Ich denke mal, das sagt schon alles.

Und sie erwähnte eGovernment und gleich ein Beispiel dazu: die bundeseinheitliche Behörden-Rufnummer. Rufnummer! Die Weltspitze ist schon in Sicht!

Was man anderswo unter Government 2.0 versteht, sah man 2 Stunden später und es kam natürlich aus den USA. Per Twitter kam ein Link zu einer Facebook-App rein, die so aussah:

White House Live on Facebook

Wir sehen hier den Chief Technology Officer Aneesh Chopra und den Chief Information Officer Vivek Kundra der US-Regierung, die Fragen rund um die Open Government Directive (data.gov) und die Migration zu einer transparenteren Regierung beantworteten. Wir merken uns also:

  • Facebook
  • Live-Stream
  • wichtige Personen der Regierung
  • unterhalten sich mit dem Volk

Eine Vorstellung, die sich bei denjenigen, die heute noch von Datenautobahnen reden, wahrscheinlich Entsetzen auslösen würde.

Aber das wird sicher alles bald anders, denn wie sagte schon Herr Brüderle: „Die jungen Leute leben IKT“.

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