Gestern nachmittag hat Markus Beckedahl auf der re:publica seinen neuen Verein „Digitale Gesellschaft e.V.“ vorgestellt, ein Verein, der vor einem dreiviertel-Jahr gegründet wurde und der nun bald die Gemeinnützigkeit erhält.
Die Idee dahinter: Dasselbe machen, wie schon bei netzpolitik.org, aber mit einer besseren Struktur, die auch Spenden annehmen und Leute anstellen kann. Dadurch verspricht man sich eine bessere Organisation von Ideen und eine bessere Umsetzung von Kampagnen.
Doch netzpolitik.org ist nicht nur Blog und Kampagnen, sondern es wird ja auch Lobbying betrieben, denn schliesslich wird Markus relativ oft bei Parteien und Co. eingeladen. Genau das soll auch der Verein machen, allerdings am besten durch per Spenden bezahlte Jung-Lobbyisten.
Struktur = old school
Mit was man den Verein nun eigentlich vergleich kann, schien nicht so ganz klar zu sein. Irgendwie Greenpeace, nicht aber BUND. Markus verglich es auch mit einer Partei. Auf Nachfrage, ob man denn intern auch wie eine Partei entscheide, hiess es dann später aber, dass man ja keine Partei sei. Stattdessen ist man ein Team von undefinierte Größe und Zusammensetzung, dass alleinig entscheidet, was passiert.
Wie also ist der Verein strukturiert? „Digitale Gesellschaft“, das klingt nach ganz viel Transparenz und Mitbestimmung, ist aber in diesem Fall doch eher die komplette Negation des Ganzen. Es gibt eine Handvoll Leute, die dort Mitglied sind, die aber anscheinend teilweise nicht mal selbst zu wissen scheinen, wer sonst noch Mitglied ist. Weitere stimmberechtigte Mitglieder soll es zudem nicht geben. Geld geben dagegen darf man als Fördermitglied gerne.
Die Mitgliederlisten werden auch nicht veröffentlich (aus Datenschutzgründen!), so dass man auch nicht weiss, wer auf die Entscheidungen der Vereins Einfluss hat.
Denn Entscheiden, das werden nur die stimmberechtigten Mitglieder. Eine irgendwie geartete Partizipation ist auf absehbare Zeit nicht geplant. Und selbst wenn man mitreden dürfte, ginge dies nur, wenn man in Berlin weilt, denn der Verein tagt nicht etwa online, wie man es bei dem Namen erwarten würde, sondern er tagt in einer Berliner Kneipe. Damit gibt es dann wohl auch keine Mitsprache dabei, was denn der noch zu finanzierende Lobbyist den Politikern so erzählt. Anzunehmen ist auch hier, dass Markus und Freunde die Positionen vorgeben.
Der Grund für das Kleinhalten ist dabei sicher verständlich, aber in diesem Fall ein echtes Problem aufgrund des Namens und des damit verbundenen Anspruchs, insbesondere dann, wenn alles so intransparent ist, wie im Moment.
Es wundert daher, dass im Artikel auf Spiegel Online den bestehenden Organisationen mangelnde Transparenz vorgeworfen wird, man selbst aber keinen Deut besser ist. Da klingt es auch recht unglaubwürdig, wenn gerade dieser Verein die Lobby-Transparenz verbessern helfen will.
Das Namensproblem
Und dann ist da der Name. Der Name ist gleich mehrfach problematisch:
- Er besetzt den Begriff „digitale Gesellschaft“. Man muss ab sofort immer klarstellen, ob man den Verein meint oder die richtige digitale Gesellschaft. Da bin ich schon gestern im Gespräch drauf reingefallen.
- Er suggeriert, dass der Verein für die digitale Gesellschaft (also uns) spricht. Dies ist aber nicht der Fall, denn für mich spricht er erstmal nur für Markus. Die Gefahr dabei ist aber, dass dies für Politiker nicht klar ist. Die suchen schon seit Jahren nach einem Ansprechpartner in der Netzgemeinschaft, der für alle spricht und Lars Klingbeil (SPD) war in „heute nacht“ auch schon froh, diesen nun gefunden zu haben. Anstatt, dass man Politikern also beibringt, mit dem Netz vernünftig umzugehen, gibt man ihnen die 1.0-Version, nach der sie gieren. Mit all den daran haftenden Problemen, die man doch eigentlich bekämpfen wollte.
- Er passt komplett nicht zur Struktur. Digitale Gesellschaft ist für mich nicht ein Klüngelgrüppchen, das sich zum Bier in einer einzigen Stadt trifft. Es kann nur der Versuch sein, dies online und partizipativ sowie höchst-transparent zu versuchen. Es bestand anscheinend auch gar nicht der Wunsch, digitale Beteiligungsmöglichkeit auszuprobieren oder zumindest anzudenken. Wer nicht in Berlin ist, bleibt sowieso draussen.
Vor allem die ersten beiden Punkte halte ich für höchstproblematisch.
Man kann mitmachen oder nicht?
Das Gegenargument ist nun immer, dass es ja jedem freigestellt ist, dort mitzumachen oder aber nicht. Das stimmt aber nur teilweise. Ich kann entscheiden, ob ich bei einer Kampagne mitmache oder ob ich Geld gebe. Nicht entscheiden kann ich aber, was mit meinem Spendengeld geschieht. Ich kann evtl. auch nicht entscheiden, was denn der Lobbyist so in meinem Namen erzählt, denn wenn dieser Verein als Stimme der Internetnutzer gesehen wird, spricht der ja de facto in meinem Namen. Ich werde also mitgemacht.
Das war natürlich auch bei netzpolitik.org schon so und es ist ja auch Markus‘ Verdienst, dieses Blog als Hub für den Themenbereich über viele Jahre etabliert zu haben. Und natürlich wird man dann eingeladen, nichts anderes passiert ja bei mir in letzter Zeit auch. Nur muss man dann auch klarmachen, dass man eben nur für sich selbst spricht und nicht etwa für alle. Wenn man deren Meinung haben will, muss man eben auch im Netz fragen und nicht irgendeinen Vereinsvertreter offline.
Was wäre denn besser?
Die einfachste Lösung wäre vielleicht, den Verein in netzpolitik.org e.V. umzubenennen. Dann mag der Alleinvertretungsanspruch durch Namen etwas relativiert sein. Trotzdem muss natürlich auch den Politikern klargemacht werden, dass es keinen Ansprechpartner der Netzgemeinschaft gibt. Man könnte ja auch fragen, wer denn das Bürgerinteresse vertritt. Das könnte natürlich ein Bürger e.V. sein, es sind aber doch gewählte Politiker, die leider natürlich immer noch viel zu intransparent und unpartizipativ arbeiten.
Insgesamt bin ich ja auch kein so Vereinsfreund und Mitglied in solchen werde ich sowieso höchstselten. Themen nämlich kochen auch so in der Netzgemeinschaft hoch, siehe Netzsperren und JMStV. Da gibt es dann mal temporäre und themenbezogene Aktionsbündnisse (die leider auch viel zu intransparent sind), aber keinen Klassensprecher für alle Themen.
Was vielleicht fehlt, ist eine Möglichkeit, Geld verteilen zu können und hierzu ist sicherlich ein Verein eine Möglichkeit. Dieser sollte IMHO aber dann auch neutral in seinen Positionen sein und sollte eben nur die Plattform bieten und weiterentwickeln. So könnte Kampagnen und Themenarbeit sozusagen als Auftrag finanziert werden. Das darf dann auch ruhig durch eine kleine Truppe passieren, so die Transparenz gewährleistet ist, dass ich auch weiss, wer was wann wie macht und ob mein Geld oder meine Arbeitszeit gut angelegt sind.
Er könnte zudem versuchen, sich wirklich um die Schaffung einer digitalen Gesellschaft zu kümmern, als nur ein paar Themen zu vertreten. Er könnte eben digitale Partizipationsmöglichkeiten schaffen, könnte versuchen, technische Hilfestellung zu leisten und auch, Partizipationsmöglichkeiten über Berlin hinausgehend zu ermöglichen.
In einer solchen Art würde das alles für mich mehr Sinn machen – in seiner jetzigen Form aber ist dieser Verein meines Erachtens eher höchstproblematisch!