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WikiLeaks: Viele offene Fragen und viele falsche Antworten

Eines der wichtigsten Themen im Moment ist nicht JMStV oder ob Glühwein wirklich gegen Kälte hilft, sondern WikiLeaks. Denn WikiLeaks ist ein für viele Beteiligte sehr sichtbarer Vorbote dessen, was uns noch bevorsteht. Gegenüber WikiLeaks nehmen sich die Bemühungen vieler Politiker zum Thema Transparenz („das geht doch gar nicht“) doch recht niedlich aus.

Bei diesem Prozess stellen sich aber natürlich auch viele Fragen, allen voran vielleicht die, wie dienlich denn die Galionsfigur Julian Assange dabei ist. Lenkt er von der sachlichen Diskussion ab oder macht es keinen Unterschied? Ich bezweifele das ja, denn wie wir ja beim JMStV sehen, geht es in der Politik scheinbar nicht wirklich um Fakten, sondern nur um Druck und parlamentarische Zwänge.

So manche Regierung mag allerdings in der Annahme leben, dass nach der Festnahme von Assange alles wieder gut ist, nur um dann später zu bemerken, dass Assange nur das Symptom, nicht jedoch die Ursache war. Denn eines ist klar: WikiLeaks ist erst der Beginn, weitere Enthüllungen werden kommen, ob nun mit oder ohne Assange. Von daher wäre statt der Hetzjagd in der Tat eine generelle Diskussion über Transparenz wichtiger. Doch wie schon gesagt: Politik braucht Druck, nicht Fakten, bevor sich was ändert.

WikiLeaks und Netzsperren

Wir sehen bei WikiLeaks sehr gut, was es bedeutet, Inhalte vom Internet tilgen zu wollen. Es geht nämlich nicht. Da mag sich die USA nun etwas ärgern, dass sie damals ein solch robustes Netzwerk geschaffen haben. Und man sieht auch, wie sinnlos DNS-Sperren sind, denn genutzt haben sie ja rein gar nichts. Doch was ist mit Löschen?

So wurden die bei Amazon gehosteten WikiLeaks-Server aufgrund politischen Drucks von Seiten Joe Liebermanns vom Netz genommen. Doch wie die DNS-Sperren hat auch dies nichts gebracht, denn die Liste der WikiLeaks-Mirrors ist lang.

Mal abgesehen davon, ob die Inhalte nun illegal sind oder nicht und die Sachlage hier sicherlich eine andere ist als bei der üblichen Netzsperren-Diskussion: Ist Löschen wirklich ein sinnvolles Mittel?

Wer darf wann, wie, was löschen?

Zudem stellt sich die Frage, wie denn der Prozess des Löschens überhaupt aussehen soll. Die Löschen-statt-Sperren-Befürworter erklären ja immer, wie schnell Phishing-Sites vom Netz sind. Doch ist der Prozess ein rechtsstaatlicher? Oder entscheidet das der Provider aus dem Bauch raus, so wie bei Amazon geschehen?

Auch ist die Sache anscheinend selbst für Amazon noch nicht abgehakt, denn der Guardian schreibt:

Lieberman is not finished with Amazon, and is planning to write to the organisation within the next 24 hours asking for details of its relationship with WikiLeaks. The issue is fast turning into a row over freedom of speech, as Democratic and Republican politicians joined calls for action against WikiLeaks, including emergency legislation for legal challenge.

Man sollte hier festhalten, dass kein Gericht bislang die Illegalität von WikiLeaks entschieden hat und vielleicht auch gar nicht kann. Aber genau dies soll ja wohl durch die Notfall-Gesetzgebung geändert werden.

Auch sind Amazon nicht die einzigen, die ein Problem mit WikiLeaks haben, denn so hat auch PayPal ohne juristische Not den WikiLeaks-Account gesperrt und die Library of Congress hat Zugang zu WikiLeaks von ihrem Netzwerk aus gesperrt. Wer mag der nächste sein? Was ist mit Facebook und den fast 700.000 Fans von WikiLeaks dort? Was mit Twitter? Und was sind die Auswirkungen auf jene Firmen? PayPal Deutschland zumindest sieht sich derzeit auf Facebook einem Shitstorm ausgesetzt und die Boykott-Aufrufe gegenüber Amazon habt auch ihr sicherlich vernommen.

Bei Amazon und PayPal beruft man sich auf die eigenen AGBs, die illegales Verhalten ausschliessen. Doch wer entscheidet, was illegal ist? Wie schon erwähnt, gibt es keinen Gerichtsbeschluss und wohl auch nichtmal eine Handhabe gegen WikiLeaks, da es durch die Meinungsfreiheit in den USA gedeckt ist. Und was soll man von einer Bibliothek halten, die Inhalte ebenso ohne Grund sperrt?

Was also darf aus welchen Gründen gelöscht werden und wie sieht der Prozess aus? Wie kann man verhindern, dass politischer Druck statt Gerichtsbeschlüssen zu Löschungen führt?

Brauchen wir also nicht nur Netzneutralität, sondern auch Hosting- und Bankneutralität?

Offenheit oder Totalitarismus?

Laut Dave Winer gibt es im Moment nur zwei Wege:

Once the distribution is underway the only way to shut it down will be to shut down the Internet itself. Politicians should be aware that these are the stakes. They either get used operating in the open, where the people they’re governing are in on everything they do, or they go totalitarian, around the globe, now.

Dabei ist nicht nur aus den USA eher bedenkliches zu hören, sondern ebenso aus Frankreich. Aber wenn hier die falschen Maßnahmen gewählt werden, dann wird es nicht nur Auswirkungen auf WikiLeaks und Co. haben, sondern auch auf die Pressefreiheit generell. Nicht umsonst sind die Reporter ohne Grenzen recht besorgt:

Reporters Without Borders can only condemn this determination to hound Assange and reiterates its conviction that WikiLeaks has a right under the U.S. Constitution’s First Amendment to publish these documents and is even playing a useful role by making them available to journalists and the greater public.

Dass das alles nun in einer de facto-Abschaltung des Internet endet, glaube ich nicht. Und selbst wenn, Informationen lassen sich nicht mehr einsperren. Die Frage ist eher, wann wir lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen, was für Staaten gleichermassen wir für Privatleute gilt. Das aber muss diskutiert, durchdacht und nicht durch Panikattacken bestimmt werden.

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