Wie ja im letzten Post ausufernd dargelegt, durfte ich mich letztens in die Hände unseres Gesundheitssystems begeben. Und zufälligerweise passierte das kurz nachdem wir im DataPortability Project (Disclaimer: Ich sitze dort mit im Vorstand) entschieden haben, HealthDataRights.org zu unterstützen, eine Site, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem Patienten nicht nur Zugang zu seinen Daten geben, sondern auch deren Herkunft zu erläutern.
Weiterhin hatte ich gerade Folge 26 von „This Week in Law“ auf meinem iPod, welche ich während meines Klinikaufenthalts auch anhörte und wo das Thema „To Your Online Health“ lautete, worüber Denise Howell, Bob Coffield, Susannah Fox, und Doc Searls debattierten.
Und auch sonst ist es kein Geheimnis, dass sich in den USA viel mehr in Dingen Gesundheitssystem und Internet tut als hierzulande. Dies bedeutet nicht, dass die viel weiter wären — auch die Podcast-Teilnehmer bescheinigen hauptsächlich gute Ansätze aber auch noch einen weiten Weg — aber zumindest wird darüber viel und oft debattiert und so haben auch wir im DataPortability Project eine Healthcare Task Force. Dort gibt es auch eine recht lange (und wohl unvollständige) Liste mit relevanten Blogs.
Hier in Deutschland scheint diese Debatte noch nicht so recht angekommen zu sein, das einzige, worüber debattiert wird, ist wohl die elektronische Gesundheitskarte. Aber diese Karte scheint ja alles andere, als die Superlösung zu sein. Die Hauptmerkmale sind wohl: kompliziert, zentralisiert, unverständlich.
Aber was läuft eigentlich falsch?
Die Symptome
Vor Kurzem also habe ich a) den Hausarzt gewechselt und b) im Krankenhaus gelegen. Was fällt auf?
Zunächst einmal hat der neue Hausarzt keinerlei Daten über mich. Er ist darauf angewiesen, mich zu untersuchen und zu fragen, wobei ich hoffentlich möglichst genau weiss, was für Vorerkrankungen ich denn so habe (und wie sie therapiert worden sind). Ich könnte sicherlich auch die Akten vom vorherigen Doktor besorgen, aber meist hat man diese ja beim erstmaligen Besuch eher nicht dabei.
Dann baut der neue Arzt nach und nach neue Unterlagen auf (meist handschriftlich) und wiederholt evtl. die ein oder andere schonmal getätigte Untersuchung. Wie sich aber z.B. Blutwerte langfristig entwickeln, kann er nicht wissen, da der Patient wohl nur in Ausnahmefällen die genauen vorherigen Werte kennt.
Symptom also: Informationsdefizit und Datensilos
Dann ging es ja ins Krankenhaus und auch dort dasselbe Problem: Wenig Daten über mich. Ich habe zwar die letzten Blutwerte mitgebracht, aber ansonsten gab es keinerlei Daten. Also wird wieder einiges abgefragt (in der Notaufnahme aber nur das wichtigste, jedoch wäre z.B. beim Anästhesiebogen ein Zugriff auf bestehende Allergien usw. wünschenswert).
Auf der Station gibt es dann meine Akte, die aber auch handschriftlich gepflegt wird. Diese Daten sind dann natürlich nur schwer elektronisch zu verwalten, entweder müsste alles nochmals eingetippt oder aber eingescannt werden, beides passiert aber nicht. Dabei könnte ja das elektronische Blutdruckmessgerät auch die Werte automatisch in meine Akte eintragen.
Symptom: nicht zeitgemässes Informationsmanagement
Und irgendwann geht es dann nach Hause. Mitgegeben bekommt man einen Arztbrief, der eine Seite lang ist und kurz darlegt, was getan wurde und was evtl. noch getan werden muss. Auch dies in schriftlicher und nicht elektronische Form mit dem Hinweis, dass die Histologie folgt. Wie diese den Weg vom Krankenhaus zum Arzt findet, weiss ich nicht, vielleicht bekomme ich das bei der Nachuntersuchung mit oder es kommt per Post. Was nicht zum Arzt mitkommt ist die eigentliche Akte. Vieles darin ist vielleicht nur eine Momentaufnahme, die nicht weiter wichtig ist, aber dennoch gehe ich davon aus, dass man nie genug Informationen haben kann.
Ausserdem sollte ich den Arztbrief auch nicht verschlampen, sondern bald mal beim Doc abgeben.
Symtpom: Datensilos
Diagnose: Dateninsuffizienz
Ursachen
Das Hauptproblem nun ist, dass heutzutage Daten immernoch lokal erzeugt und auch dort gelagert werden. Es gibt also Datensilos, auf die sowohl der Patient als auch der behandelnde Arzt nur umständlich Zugriff erlangen kann.
Das hat mehrere Gründe, wie ich in einem Gespräch mit Hanno Schlichting des nachts auf #repoze erfuhr, so z.B. fehlende oder zu viele konkurrierende Standards, ein Fokus auf die Abrechnung von Leistungen anstatt auf die anfallenden Daten und der Drang der Deutschen, für alles immer die eierlegende Wollmilchsau erfinden zu wollen anstatt sich auf den 80%-Use Case zu konzentrieren.
Und auch wenn man sich den Artikel zur Gesundheitskarte durchliest, so ist mir nicht direkt klar, ob dort nur Rezepte, Notfalldaten und Diagnosen gespeichert werde sollen oder aber auch alle anfallenden Daten. Auch unklar ist mir, ob denn der Patient selbst dann Zugriff auf diese Daten erlangen kann.
Therapie
Wichtig ist meiner Meinung nach zunächst einmal das Aufbrechen der Datensilos. Dies ist ähnlich wie bei sozialen Netzwerken, wo heutzutage ja auch Daten eher neu eingegeben anstatt mitgenommen werden (immerhin liegen sie aber elektronisch vor).
Hier muss der Patient in den Mittelpunkt gerückt werden. Der Patient muss die Plattform sein, wo alle Daten verfügbar sind. Diese Daten müssen für den Patienten selbst einsehbar sein, müssen aber auch für beliebige Stellen freigegeben werden können. So könnte man sich auch vorstellen, dass man bestimmte Daten in ein soziales Netzwerk einspeist, welches dann Personen sucht, die ähnliche Symptome haben. Ein Beispiel dafür wäre patientslikeme. Aber auch dort müssen die Daten wieder manuell vom Patienten eingepflegt werden und können nicht automatisiert aus einer elektronischen Patientenakte übernommen werden.
Es zeigt aber auch, wie man den Patienten mehr die Kontrolle und die Einsicht über seine Daten geben kann.
Was für all das wieder benötigt wird, ist auch klar: Ein Standard. Oder mehrere kleinere Standards, die sich ergänzen.
Ein Ansatz könnte das Healthcare Information Technology Standards Panel sein, zumindest für die USA. Hier scheint es zumindest recht viele Dokumente zu geben und vor allem interessant ist die Verwendung von SAML2.0 zur Identifikation, wobei wohl auch andere Mechanismen möglich wären. Gut wären aber generell international genutzte Standards, denn wenn ich zufällig ausserhalb Deutschlands halbtot umfalle, wäre es schön, wenn man dann auch dort Zugriff auf meine Daten hat und ich nicht aufgrund eines Informationsdefizit mein Leben lasse.
Prognose
Hanno sagt, dass die IT im Gesundheitswesen 5-10 Jahre hinterherhinkt, ich würde sogar noch einen längeren Zeitraum annehmen. Im Moment sind wir immer noch bei der Einführung der Gesundheitskarte, die aber wohl eher ein Flop werden wird, da viel zu teuer und politisch umkämpft. Sie scheint uns auch nicht unbedingt dem Ziel näherzubringen, den Patienten als Plattform zu begreifen und lässt weiterhin aufkommende Interaktionen mit nicht-medizinischen Institutionen wahrscheinlich gar nicht zu (kann ich meine Blutwerte auch meinem Onkel schicken?)
Sicherlich gibt es auch viele Bedenken, z.B. den Datenschutz. Hier sind wir in Deutschland natürlich auch sehr empfindlich, was man wiederum in den USA nicht so sehr zu sein scheint. Doc Searls meinte dazu, dass es ja erstmal wichtiger sei, dass der Arzt die notwendigen Daten hat. Datenschutz kommt also bei ihm an zweiter Stelle (seine Mutter sei aber wohl aufgrund schlechter Daten gestorben).
Auch wird hierzulande alles von den üblichen Verdächtigen in Ausschreibungen und sehr zentralistisch abgehandelt. Es gibt keinen wirklichen Wettbewerb. Auch dies muss sich ändern, denn ansonsten werden die Kosten nicht gedrückt werden können.
Und das alles beziegt sich auch nur auf das Thema „Daten“. Ich denke auch im Umgang von Ärzten und Patienten miteinander kann noch einiges getan werden, aber dies würde den Umfang dieses Blogposts wohl sprengen.
Ich persönlich werde mich aber wohl in Zukunft ein bisschen mehr mit dem Thema beschäftigen, denn elektronische Gesundheitskarte und vor allem all die Entwicklungen in den USA (Google Health usw.) sind an mir bislang eher spurlos vorbeigezogen. Dabei ist dies ja ein der Thema, das für jeden persönlich mal sehr wichtig werden könnten. Daher gibt es vielleicht auch irgendwann mal eine Folge OpenWebPodcast dazu.
Dass wir aber noch einen langen Weg zu einem besseren Gesundheitssystem vor uns haben, ist nicht zu übersehen. Und im Gegensatz zu den USA sehe ich bei uns leider nicht einmal gute Ansätze. Aber vielleicht übersehe ich sie auch nur, ihr dürft mich gerne korrigieren.
Technorati-Tags: gesundheitswesen, dataportability, healthcar