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StreitClub: „Freiheit vs. Sicherheit“ mit Udo Vetter vs. Wilfried Hinsch

Im Rahmen des „StreitClub“ am philosophischen Institut diskutieren am Mittwoch, dem 14.10.2009 Udo Vetter und Prof. Dr. Wilfried Hinsch über das Thema „Freiheit vs. Sicherheit“. Mit mehr als 100 Zuhörern hat man dabei wohl allerdings nicht gerechnet. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum ominöserweise die Einladung von der Institutshomepage verschwunden und nur passwortgeschützt erreichbar war.

Zunächst will ich mich an einer Zusammenfassung der beiden Standpunkte versuchen. Prof. Hinsch hat sich dabei für das Thema „Sicherheit“ entschieden, womit Udo Vetter das Thema „Freiheit“ zukam. Insgesamt kann man aber wohl sagen, dass beide ein bisschen aneinander vorbei diskutiert haben, da Prof. Hinsch das Thema auf einer mehr abstrakteren Ebene anging, während Udo Vetter eher konkreter (und natürlich auch mehr bei den Rechtsfragen) blieb. Richtigstellungen dazu können gerne in den Kommentaren hinterlassen werden.

Der Standpunkt von Prof. Hinsch

Prof. Hinsch hat zunächst auf ein paar Grundthese hingewiesen, z.B. dass es Freiheit ohne Sicherheit gar nicht geben könne. Er wies zudem darauf hin, dass man für eine fundierte Entscheidung darüber, welcher Sicherheitsmassnahmen eingeführt werden sollen, einen statistischen Unterbau bräuchte, den man aber nicht erhalten kann, da niemand in die Zukunft schauen kann. Weiterhin wies er auf das Problem der subjektiven Wahrnehmung hin, wo die Bevölkerung vor einem Terroranschlag trotzdem mehr Angst hat als vor einem Autounfall, obwohl letzteres deutlich wahrscheinlicher ist. Dieses subjektive Empfinden spielt aber dennoch eine Rolle, da es in größerem Maßstab die soziale Ordnung gefährden kann. Zwei Hauptargumente für die bestehenden Sicherheitsgesetze schienen zu sein, dass sie a) von einer demokratischen/parlamentarischen Mehrheit abgesegnet sind und b) die Grundrechtsparagraphen im Grundgesetz nur dem Wesensgehalt nach gelten müssen, wovon er aber ausginge. Er wehrte sich auch gegen den Begriff „Präventionsstaat“, denn auch was die „Freunde der Freiheit“ täten, wäre ja Prävention, da sie ja auch nur hellsehen können, was denn alles Böses eventuell mit den erhobenen Daten gemacht werden könnte.
Insgesamt ging es ihm also nicht so sehr um konkrete Gesetze oder Gesetzesvorhaben, sondern um den Prozess an sich, mit dem die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit austariert wird.

Der Standpunkt von Udo Vetter

Udo VetterUdo Vetter dagegen war konkreter und hat daher wohl auch viele Beispiele (von Prof. Hinsch „anekdotische Evidenz“ genannt) aus seinem eigenen Erfahrungskreis gebracht. Er nannte konkrete Gesetze wie die Vorratsdatenspeicherung und machte an diesen Gesetzen und deren Auswirkungen die Gefahren eines Überwachungs- oder Präventivstaates deutlich. Hier sie vor allem die Schere im Kopf zu nenen, wo Bürger allein aus Angst vor Überwachung oder deren Folgen vorsichtiger agieren. Er nannte auch die Problematik des Feindstrafrechts, bei dem es darum geht, Menschen in gut und böse einzuteilen. Nur die ersteren geniessen dabei den Schutz des Grundgesetzes, die anderen (bzw. die unter diesem Verdacht stehenden) werden in einen Sonderstatus überführt (in den USA nennt man sie „feindliche Kombattanten“). Weiterhin sieht er die anhaltende Aushöhlung der Grundrechte als Problem und ist sich wohl nicht immer ganz sicher, ob der Wesensgehalt dieser GG-Paragraphen noch erhalten bleibt, denn sonst hätte das Bundesverfassungsgericht ja nicht soviel zu tun. Auch gab er zu bedenken, dass ein Anschlag, der die Grundfesten der Bundesrepublik erschüttern könnte, auf lange Sicht nicht in Aussicht ist. Und nur dies sei nach dem Strafgesetzbuch die Definition von Terrorismus. Seine Meinung war auch, dass nicht diejenigen, die das Grundgesetz und die Grundrechte verteidigen, sich rechtfertigen müssen sollen, sondern eben die, die immer weitergehendere Einschränkungen vorschlagen.

Meine Meinung dazu noch

Soviel zu deren Standpunkte. Hier noch schnell meine Meinung in Stichpunkten dazu:

  • Der normale Bürger kann gar nicht entscheiden, wie schwerwiegend eine Bedrohung ist, da man in die relevanten Akten keine Einsicht erhält (und dies wohl auch richtig so ist). Damit ist die Frage im Raum, auf welchem Fundament die demokratische Mehrheit steht.
  • Der subjektive Aspekt ist sicherlich wichtig, aber es ist auch die Frage, inwiefern Politiker diesen ausschlachten und den Leuten auch eine Gefahr suggeriert wird. Andererseits hat man als Politiker in Verantwortung auch das Problem, dass man auf Nummer Sicher gehen will. Und das wird anscheinend leicht zum (internationalen) Selbstläufer).
  • Je mehr wir die Freiheit einschränken, desto mehr gewinnt der Terrorist, indem er einfach „Buh!“ ruft. Da waren ja auch im Publikum einige Leute anscheinend dieser Meinung. Auch Udo Vetter meinte, dass man dann vielleicht viel Sicherheit hätte, aber auch Angst (vor dem Staat) dazu.
  • Man kann nicht eine statistische Grundlage fordern und gleichzeitig auf dem subjektiven Aspekt rumreiten. Hier fehlen mir ein bisschen mögliche Lösungsansätze, wie man das besser austarieren kann.
  • Ich mag Herrn Hinsch zustimmen, wenn er sagt, dass die „Freunde der Sicherheit“ das Bedrohungspotential subjektiv überschätzen, sowohl in der Wahrscheinlichkeit als auch der Größe. Aber beweisen kann ich es leider nicht. Hier fehlt mir also auch als Bürger der persönliche Einblick.

Das Live-Blogging-Transcript

In der Einführung ging es darum, dass wir weder absolute Sicherheit noch absolute Freiheit haben können. Es geht also eher darum, wie man diese gegeneinander abwägt.

Plädoyer Hinsch

Er durfte sich aussuchen, welche Seite er nimmt und hat Sicherheit genommen, was nach seinem Buch überraschen mag. Er steht aber dennoch dahinter. Er beginnt mit einem SPD-Politiker mit Namen Gustav Noske aus den 20er Jahren. Er war der erste SPD-Politiker mit militärischer Macht gewesen. Die Zerschlagung des Spartakusaufstandes wäre ohne Noske nicht so gelaufen wie es gelaufen ist. Er meinte dazu „Einer muss der Bluthund sein“. Hinsch fand das immer ungerecht, weil es unter den Historikern usw. wenig Zweifel daran gibt, dass man im Recht war. Man sah damals in dem Vorgehen der Aktivisten eine Gefahr für die Weimarer Republik. (So ganz ist mir das hier nicht klar, ich bin auch kein Experte in Sachen Weimarer Republik, noch verstehe ich so ganz, was der Punkt dessen hier ist, daher bitte ich um Aufklärung in den Kommentaren. Allerdings vielleicht auch nicht ganz so wichtig für die Diskussion).

Er will drei Thesen vorstellen.

  1. Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit. Ich habe keine Wahlfreiheit, wenn ich fürchten muss, vor dem Wahllokal zusammengeschlagen zu werden. Oder die Freiheit im Park spazieren zu gehen. Oder die Freiheit meine demokratischen Grundrechte wahrzunehmen ohne um meinen Lebensunterhalt fürchten zu müssen. Daher ist Sicherheit eine Vorbedingung für Freiheit. Es gibt daher keinen Gegensatz, sondern ein Bedingungsverhältnis. Man kann aber weder Freiheit noch Sicherheit einen absolute Wert zuschreiben, es kommt immer um die konkreten Anwendungsfälle an.
  2. Der Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit ist oft eher ein Gegensatz zwischen verschiedenen Arten von Freiheiten. So zieht die Freiheit von staatlichen Kontrollen eine Einschränkung meiner Freiheit der Kommunikation nach sich.
  3. Vermeintliche Konflikte zwischen Sicherheit und Freiheit entlarven sich meist als Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen (siehe Beispiel Noske, wer darf Gestaltunsmacht wahrnehmen?). Beispiel: Einführung des Ackerbaus setzt voraus, dass es geschützten Grundbesitz gibt. Dies schränkt diejenigen ein, die mit ihren Viehherden durch die Lande ziehen wollen. Also zwei Freiheit: Die Freiheit mit meinem Acker tun und lassen können, was ich will und die Freiheit der Nomaden.

Mit anderen Worten: Wenn wir solche Freiheitsbeschränkungen befürworten, dann tun wir das im Namen der Freiheit. Daher kann es keinen Vorrang der Freiheit vor der Sicherheit geben.

Plädoyer Udo Vetter

Fand zunächst mal gut, was der Kollege gesagt hat und hätte auch gerne Sicherheit genommen. Er hat auch mit sowas gerechnet. Den historischen Einfluss fand er deswegen interessant, da es zeigt, wie eng Verbrecher und Held in der Geschichte zusammenliegen. Weiterhin bestätigt er, dass Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze sind. Wenn, dann muss es heissen „Freiheit vs. Kontrolle“. Darauf will er auch eingehen.

Er will natürlich keinen philosophischen Ansatz sondern einen rechtlich/juristischen Ansatz wählen. Es gibt einen Wunsch des Staates und der Bevölkerung, nicht in einer Anarchie zu leben. Das steht ja auch so im Grundgesetz. Die Frage, die man stellen muss, ist aber: Ist das Grundgesetz, dass wir heute haben, noch das Grundgesetz, das vor 60 Jahren die Erfinder so haben wollten.
Er kann ausserdem bestätigen, dass in den letzten 15 Jahren die ersten Paragrafen um die Grundrechte aufgebläht worden sind. Diese waren einmal recht kurz und beinhalten nun verschiedene Einschränkungen in jedwede Richtung. Das hat sich vor allem nach 9/11 geändert.

Deswegen als Kritikpunkt zum Kontrahenten: Findet es etwas unredlich, Beispiele rund um Alltagsverbrechen zu bringen. Es geht nicht um den Park oder um randalierende Jugendliche. Die eigentlichen Einschränkungen von Grundrechten finden aufgrund anderer Prämissen statt. Es geht um die angenommene Bedrohungslage im Bereich internationaler Terrorismus. Und wer weiss, ob ein Herr Schäuble mal ein Noske werden wird. Wir wissen es nicht.
Für ihn das unglaublichste ist die Einführung der Vorratsdatenspeicherung und das über den Zeitraum von 6 Monaten. Wir haben hier eine Einschränkung des Rechts, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden (nennt als Beispiel die Volkszählung damals, wo es eigentlich um banale Daten geht, wobei es heutzutage keinen Aufschrei gibt). Interessant ist auch, dass das Post- und Fernmeldegeheimnis recht früh kam, obwohl damals noch totalitäre Strukturen vorherrschten. Dies wird nun nicht mehr ernst genommen. Es wird wohl auch bald kommen, dass Beschuldigte Passwörter herausrücken muss. Er darf nicht mehr schweigen.

Wenn man diese Einschränkugen ansieht, ist die Frage, wie man das rechtfertigen kann. Da ist im Moment nur der internationale Terrorismus. Die Frage ist nur, ob diese vermeintliche Bedrohung tatsächlich eine Bedrohung ist, die diese Massnahmen rechtfertigt. Seine Antwort: Im Sinne der Freiheit: Nein.

Denn man muss sich darüber klar sein, dass wir damit die eigenen Werte verraten, also die demokratisch-freiheitliche Grundordnung. Dies ist im Prinzip ein Gewinn der Terroristen, da wir die Werte aufgeben, die wir eigentlich verteidigen wollen. Ist die Bedrohung wirklich so gross? Bundesgerichtshof hat festgestellt: Die Bedrohung ist da, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein Anschlag in der Lage wäre, die BRD als solches zu bedrohen. Dies war auch bei 9/11 bei den USA nicht der Fall.

Wir laufen in den Präventionsstaat hinein. Wir geben heutzutage Dinge auf, für die in den letzten 300 Jahren viele Menschen gekämpft haben oder sogar gestorben sind, gelitten haben, ins Gefägnis gewandert sind.

Antwort Hinsch: Die Frage ist ja: Welchen Wert verliere ich genau und wie will ich diesen Wert abwägen? Die Freunde der Sicherheit überschätzen aber auch die Bedrohungslage durch den Terrorismus. Risiko-Wahrnehmung ist auch sehr subjektiv. Sowohl in der Dimension der Wahrscheinlich als auch in der Größe. In einer Demokratie kann man aber auch kaum Expertengruppen installieren, die das „wahre“ Maß berechnen. Es muss also demokratisch irgendwie legitimiert werden, was man an Kontrollen einführt. Und was tut man dann, wenn der Großteil der Bevölkerung für mehr Sicherheit ist?

Vetter: Erste Prämisse sehr geschickt, da sehr entlarvend. Er bringe die Verfechter des Grundgesetzes dazu, das Grundgesetz verteidigen zu müssen. Die Grundrechte sind aber unveräußerlich, so steht es dort. Wenn man heute das Grundgesetz als Freiheitskatalog verteidigt, dann heisst es „Wie kann man des denn heutzutage noch wollen, wo doch die Bedrohung so gross ist“. Die Frage ist eher, wie man Methoden schaffen kann, die die Grundrechte nicht aushöhlen.
Beispiel sind wieder Hausdurchsuchungen, die heutzutage sehr inflationär angewendet werden, z.B. wegen Schwarzfahren, weil die Nachbarn einen anonym des Drogenhandels bezichtigt haben usw.
Es müssen daher nicht diejenigen sich rechtfertigen, die das Grundgesetz verteidigen, sondern die, die Grundrechte abbauen wollen. Darüber kann man dann streiten.

Erläuterung am Beispiel: Im Präventionsstaat geht es um eine Aufteilung in „gut“ und „böse“. Nur die Guten stehen unter dem Schutz des Grundgesetzes, die Bösen oder die so gelabelten nicht. In den USA heissen diese „feindliche Kombattanten“. Er nennt die Verhafteten beim Oktoberfest, die 8 Tage eingesperrt worden sind, wobei die Verdachtslage seeehr dünn war. Was würden Sie sagen, wenn ein Student, mit dem sie hier und da zu tun hatten, ein Cousin einer der beiden wäre? Was geht dann in Ihrem Kopf vor? Man gerät vielleicht leicht in Verdacht, der aber gar nichtmal das Schlimmste ist. Das Schlimmste ist, dass Sie vielleicht diesem Studenten keine E-Mails mehr schicken oder ihn anrufen. Weil Sie Angst haben. Die Schere setzt nicht der Staat an, sondern Sie selbst. Man hat Angst aufzufallen.

Das führt dazu, dass wir uns konform verhalten. Und das genau ist das, was das Bundesverfassungsgericht untersucht. Dies ist auch fatal für die Sicherheit. Man hat dann neben der Sicherheit auch die Angst.

Hinsch: Die anekdotischen Geschichten sind eigentlich wertlos, da könnte er auch viele nennen. So kommt man auf dieser Ebene nicht weiter. Das wäre reine Gefühlskocherei. Es ist sehr schwer hierbei statistische Grundlagen zu bekommen. Wie oft passieren Dinge, die wir nicht wollen und wieviele Dinge können wir verhindern. Daher verfällt man in der politischen Diskussion gerne in diese Anekdoten.

Die rhetorische Rede vom Präventionsstaat kann man auch sofort umdrehen, denn die Freunde der Freiheit sind ja auch präventiv tätig. Man will negative Auswirkungen verhindern, die vielleicht gar nicht eintreten. Das mit den Beweislasten sei geschickt von ihm gewesen aber das spielt bei ihm keine Rolle.

Es geht ja auch darum, dass nur der Wesensgehalt der Grundrechte nicht verändert werden darf. Diejenigen, die Grundrechte verändern, denken natürlich, dass dies der Fall ist und sie nicht verändert worden sind.

Müsste Herr Vetter nicht sagen können, wie gross das Risiko denn bei den genannten Problemen ist? Was ist die Legitimationsbasis für die Freunde der Freiheit, wieso sagen Sie nicht, „die demokratische Mehrheit sieht das so und so“ und das wäre ok. Er habe aber nur anekdotische Evidenz, keine Statistiken.

Vetter: Wer die Mehrheitsentscheidungen absolut nimmt, der würde auch innerhalb von 6 Monaten wieder die Todesstrafe einführen können. Aber die Todesstrafe ist aus gutem Grund abgeschafft, obwohl die Mehrheit das wieder einführen würde.

Hinsch: Aber es geht um die parlamentarische Mehrheit, nicht um Volksentscheide.

Vetter: Die Mehrheitsmeinung kann durchaus konträr zur geltenden Verfassung sein. Er will aber auch mehr das Argument entlarven: „Wenn die Mehrheit es will, dann kann es nicht schlecht sein“.

Hinsch: So meinte er das nicht. Es bleibt ja der Wesensgehalt, die das Parlament ja wohl erhalten will. Nur wenn das Gegenteil der Fall wäre, wäre dies ein Problem. Die anekdotische Evidenz hat er ja schon angemahnt.

Vetter: Die Parlementarier sind ja nicht in der Lage, verfassungsgerechte Gesetze zu machen. Nennt Beispiele der Vorratsdatenspeicherung, wie ursprünglich gedacht zur Aufklärung von Bagatellstraften.

Hinsch: Parlamentarier können sich irren. Das heisst aber nicht, dass diese keine legitimatorische Kraft hat.

Vetter: Es geht nicht nur darum, dass das Verfassungsgericht nichts zu bemängeln hat. Trotzdem kann das Individuum das ja trotzdem nicht gut finden. Beispiel grosser Lauschangriff: Zu 95% kassiert, obwohl damals grossartig verteidigt. Zu den Anekdoten: Das ist das, was die Freiheit bei uns ausmacht.
Noch zum Präventionsstaat: Man darf nicht 2 Dinge in 1 Topf werfen. Wir haben einmal die Strafverfolgung (jemand wird zur Rechenschaft gezogen nach einer Tat) und dann haben wir was wir neu erleben, nämlich die Zurückdrängung der Strafverfolgung zugunsten der Präventation. Das aber ist Kaffeesatzleserei. Das Problem ist, wenn wir diesen Staat wollen, dann geht das nur durch Informationsgewinnung. Das aber sind konkrete Eingriffe in die Grundrechte des Einzelnen, wie die Aushebelung der Unschuldsvermutung, Abschaffung der Gleichgehandlung (anderer Glaube usw.), …

(sind wir gleich durch?)

Hinsch: Die Anekdoten nehmen erstaunlich viel Zeit in Anspruch. Zur Prävention. Das macht doch auch jeder Polizist, wenn er herumläuft. Er sammelt Informationen. Auch er geht nach gewissen Merkmalen vor. Bei einem Mann im Dreiteiler geht man erstmal nicht von Drogengeschäften aus. Die Polizisten machen doch dasselbe wie die Kameras, nur weniger systematisch.

Vetter: Nennt die empirische Erfahrung aus London (Hinsch: Wieder Anekdote). Nein, empirisch. So sind in England die Leute zwar auf den Kameras zu sehen, aber können aus verschiedenen Gründen nicht verfolgt werden. Auch werden keine Straftaten verhindert, wie man hierzulande immer gerne sagt.

Hinsch: Kann mir nicht vorstellen, dass die grossen Städte soviel Geld für etwas ausgeben, was gar nichts bringt. Und: Wenn es wirklich so unnütz ist, wieso ist es denn dann eine Bedrohung für die Freiheit?

Vetter: Bitte nicht so missverstehen, dass es die Freiheit sei, ein Verbrechen unbeobachtet von Kameras durchzuführen. Es geht immer so in die Richtung „Ich habe ja nichts zu verbergen“. Diesen Satz hört man ja immer wieder. Wenn dem so ist, schicken Sie dem Finanzamt ihre Kontoauszüge oder geben Sie ihrem Nachbarn ihre Festplatte. Wenn sich nur 5% der Bevölkerung sich dadurch gestört fühlen, dann muss man diesen 5% auch das Recht geben, unbeobachtet zu sein, wenn dem nicht erwiesenermassen andere Werte entgegenstehen.

Fragen aus dem Publikum

An Hinsch: Wie würde es Ihnen denn gefallen, wenn sich ein Polizist an ihre Fersen heften würde, sobald sie die Haustür verlassen.
Hinsch: Findet er auch unangenehm, aber das ist nicht der Punkt. Denn es geht um die Frage, welche Sicherheitsgewinne man dadurch realisieren könnte und was ist uns das wert. Das ist eine klar erkennbare subjektive Komponente. In einer Demokratie müssen diese durch einen demokratischen Prozess festgelegt werden. Man kann trotzdem noch anderer Meinung sein.
Vetter: Lehren, die wir aus der NS-Zeit gezogen haben: Menschen dürfen nicht wieder zu Nummern werden. Es darf keine Katalogisierung zwischen wertvollen und wertlosen Menschen geben.
Hinsch: Versteht das Argument nicht. Geht es um Steuernummer? Hat es was mit den Grundrechten zu tun?
Vetter: Beispiel individuelle Steuernummer, die in den Niederlande nach dem 2. WK wieder abgeschafft worden ist. Es geht um das Feindstrafrecht. Darf man Menschen anhand von bestimmten Merkmalen in Gruppen sortieren, die man dann anders behandelt? (siehe oben). Es wird z.B. auch in Köln wieder diskutiert, ob man die Rettungsfolter wieder einführen könnte/sollte.
Hinsch: will nochmal nachkarten wegen Prävention. Man kann ja auch sagen, dass die Abneigung der Nummer präventiv ist, denn man könnte damit verschiedene böse Dinge tun, oder auch nicht.

Weiter ging es dann um die Datensammlungen, deren wachsenden Größen und die neuartigen Möglichkeiten.
Man weiss nicht mehr, was mit seinen Daten geschieht, absichtlich oder unabsichtlich.

Hier nur noch Stichpunktartig:

Frage zur Argumentationsweise: Sie sagen, dass die Demokratie darüber entscheidet, was es an Sicherheit braucht. Muss diese Demokratie nicht eher darüber diskutieren, was die kleinste Einschränkung ist, die gewünschte Sicherheit möglich macht?

Hinsch: Klar. Es werden auch die Bedrohungen meist überschätzt. Aber es gibt keinen, der uns genau sagt, was die richtige oder falsche Freiheitseinschränkung ist.

Vetter: „Man kann die Freiheit nicht dadurch verteidigen, indem man die Freiheit aufgibt“.

Hinsch: Wenn man die statistische Gefährdung anschaut, denn kann man dahinkomen, dass diese Bedrohungen gar keine sind. Es sind aber symbolische Bedrohungen. Der Gedanke daran hat etwas emotional enorm destabilisierendes. Es ist egal, ob wir harmlose Bürger sind oder nicht.. Die soziale Ordnung ist damit viel früher in Frage gestellt. Daher also subjektive Wahrnehmung. Das gebietet uns Respekt vor demokratischen Entscheidungen.

Aus dem Publikum: Als Terrorist kann man sein Ziel auf 2 Arten erreichen: Indem man das Land lahmlegt oder indem man das Land umstruktiert. Für ihn sitzt der wahre Terrorist derzeit im Rollstuhl.

Vetter: Das Maß unseres Handelns darf nicht die subjektive Wahrnehmung sein sondern die Vernunft. Man muss das aber sicher auch ernst nehmen.

Und dann ging es noch in das verrauchte Café Einstein, leider aber ohne die Kontrahenten. Aber auch so gab es dort dann noch die ein oder andere interessante Diskussion zum Thema.

Alles wie schon erwähnt ohne Gewähr auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Ansonsten würde ich mir wirklich wünschen, die beiden würden sich nochmal zusammensetzen, dann aber mit dem jeweils anderen Standpunkt. Udo Vetter schlug dies ja sogar vor.

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