Update 24.1.2010: Die Audioaufzeichnung ist inzwischen bei politfunk LIVE erschienen. Klicke hier zum Anhören.
Gestern abend war Alvar Freude vom AK Zensur in Aachen zu Gast und hat an der RWTH Aachen einen Vortrag mit dem Titel „Zensur ist, wenn…“ gehalten. Veranstaltet wurde dies von der Fachschaft Mathe, Physik, Informatik. Einen Audio-Mitschnitt bei politfunk LIVE wird es auch noch geben, danke schonmal an die Video AG der Fachschaft, dass sie diesen zur Verfügung gestellt hat.-
Hier nun meine Live-Blog-Mitschrift. Rechtschreibfehler und inhaltliche Fehler bitte ich wie immer zu entschuldigen und Berichtigungen werden gerne entgegen genommen. Insbesondere interessant fand ich den letzten Teil, wo es um den im Moment noch kaum bekannten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag geht, über den Alvar auch letztens schon gebloggt hat.
Zensur, was ist das?
z.B. wenn jemand Plakate abreisst, die jemand anders aufgehangen hat, ist dies für einen Juristen keine Zensur. Für den Juristen geht es um Vorzensur, d.h. man muss sich beim Staat/Regierung zunächst eine Erlaubnis einholen, ein Dokument überhaupt erst zu veröffentlichen.
Darauf bezieht sich auch das Grundgesetz „Eine Zensur findet nicht statt“.
Alles, was aber danach verboten wird (nach der initialen Veröffentlichung), das ist verfassungskonform. Dies wäre eine Nachzensur.
Zensur ist sehr mit der Informations- bzw. Rezipientenfreiheit verknüpft. Diese hat einen höheren Stellenwert als die Meinungsfreiheit. Z.B. dürfen wir keine Volksverhetzung betreiben. Rezipientenfreiheit bedeutet, dass wir zuhören dürfen, es aber evtl. nicht verbreiten dürfen.
Ist der gängige Begriff der „Vorzensur“ noch zeitgemäß?
Als Beispiel seien die Netzsperren genannt und andere Blockaden genannt, denn auch hier wird ja schon gefiltert, bevor man überhaupt Zugriff darauf hat.
Zensur in der Praxis der BRD
Grundsätzlich in der Regel: Keine Zensur.
Es gibt aber Ausnahmen, wie z.B. Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Damit kann man z.B. ganze Bücher verbieten lassen.
Dadurch beginnt aber auch schon die „Schere im Kopf“. Denn auch wenn nur im Nachhinein zensiert wird, dann überlegt man sich als Autor sehr genau, was man schreiben kann oder nicht. Gerade im politischen Umfeld ist dies kritisch.
Wir befinden uns hier als im Grenzgebiet der Meinungsfreiheit/Tatsachenbehauptungen. Dies gilt auch für Firmen, man darf also keine falschen Tatsachenbehauptungen unter dem Mantel der Meinungsfreiheit veröffentlichen. Dies sind meist Abwägungsentscheidungen.
Im Falle der Vorzensur gibt es zudem eine Ausnahme im Falle der Schülerzeitung (bzw. gab). Wollte man diese auf dem Schulhof verkaufen, so musste man sie zunächst dem Direktor vorlegen. Leider haben wohl auch viele Schüler eher gekniffen als die z.B. vor der Schule verkauft.
Im Internet…
Vieles wird heutzutage ins Internet verlagert. Z.B. wird vieles, was man auf einem Stammtisch sagen würde auch gerne auf Blogs usw. veröffentlicht, weil man denkt, man sei nach wie vor unter sich. Dies ist aber nicht der Fall, es ist öffentlich.
Natürlich darf man auch auf dem Stammtisch keine falschen Tatsachenbehauptungen aufstellen, aber es hören einfach weniger.
Auch wird man im Internet schnell zum Publizist (z.B. wenn man ein Blog betreibt). Manche Aussagen können da auch schnell teuer werden.
Ist das Zensur, wenn ich etwas über meinen Nachbarn schreibe und der will es raushaben?
Verfassungsrechtlich ist es keine Zensur, gefühlt aber schon. Aus der Sicht des Nachbars ist dies aber verständlich.
Suchmaschinen-Zensur
Was wenige wissen: Google zensiert (aber auch andere).
Es gibt für verschiedene Länder verschiedene Filter, ein bekanntes Beispiel ist sicherlich Google vs. China. Aber dies macht Google nicht nur für China.
Als Beispiel zeigt Alvar die Suche nach „Muppet Show“ und bemerkte, dass sich die Ergebnisse zwischen google.com und google.de unterscheiden. Bei der .com-Variante ist nämlich ein Bild mehr vorhanden, das als streng jugendgefährdet gilt. Nicht wegen dem Bild (das ist harmlos, auch der Text dazu), sondern wegen der Website, denn es kommt von rotten.com (einer Site mit Unfallopfer-Fotos und vielem anderem ekelhaften mehr). Deswegen ist rotten.com indiziert und Google filtert in Deutschland die Ergebniss von dieser Site raus. Dazu gibt es einen Hinweis, dass x Ergebnisse herausgefiltert worden sind mit einem Link auf http://www.chillingeffects.org/notice.cgi?sID=815/ . Es steht nicht dabei weswegen es herausgefiltert worden ist und wer dafür verantwortlich ist.
Dies betrifft nicht nur rotten.com, sondern vieles mehr, wie rechtsradikale Websites und anderes. Allerdings auch eher harmlose Websites, die z.B. das Unglück eines falschen Domainnamens haben.
Es werden also starke Veränderungen an den Suchergebnissen vorgenommen und für viele Leute bedeutet, etwas bei Google nicht zu finden, dass es das auch gar nicht gibt. Dies macht sich nicht nur der Staat zu nutze, sondern auch die Privatwirtschaft.
Z.B. hat ein deutscher Autor auf einem deutschen Blog mit bekannter Anschrift etwas Unschönes über eine Firma berichtet. Diese Firma hat aber nicht etwa den Blogger aufgrund von falscher Tatsachenbehauptung verklagt, sondern ist zu Google gegangen und hat die Seite aus dem Index nehmen lassen. Dies geht aufgrund des Konstrukts der Störerhaftung, die wir in Deutschland haben. Google hat diese Dinge leider einige Zeit lang etwas lax gehandhabt und lieber zuviel gesperrt als zu wenig. Für die Firma also sehr praktisch, insbesondere, wenn es gar keine falsche Tatsachenbehauptung war, sondern diese in diesem Fall wohl zutraf.
Zugangserschwerungsgesetz
Am 20.11.2008 hat Frau von der Leyen ein Interview gegeben und gesagt: „Ich will die Datenautobahn der Kinderpornographie stoppen“.
Dies resultierte am Ende in der Verabschiedung des „Zugangserschwerungsgesetz“ am 18. Juni 2009, nachdem es zunächst Verträge mit 5 Providern gab und damit Druck aufgebaut wurde.
Dieses Gesetz sieht vor, dass das BKA geheime Listen mit Domainnamen führt, auf denen kinderpornographische Inhalte verfügbar sind. Das Ziel: Die Verbreitung von KiPo zu verhindern.
Erstmal ein löbliches Ziel, aber bei genauerer Betrachtung wird dem Ziel leider nicht nachgekommen. Zunächst sind die Sperren leicht zu umgehen (aber nicht dass wichtigste Argument), aber solcherlei Inhalte sind ja auch erstmal eher schwer zu finden. Keiner im Raum hat solches schonmal entdeckt beim Surfen.
Die einfache Auffindbarkeit war aber eine der zentralen Begründungen, nämlich dass man die Zufallsfunde unterbinden will und dass man dadurch nicht angefixt wird. Wisschenschaftliche Untersuchungen besagen allerdings das Gegenteil, dass man nämlich sehr lang suchen muss, um solche Inhalte zu finden.
Der Hauptgrund gegen das Gesetz ist aber, dass Kinderpornographie weltweit nicht nur verboten sondern geächtet ist. D.h. es ist kein Problem, diese Inhalte zu löschen. Hat man etwas gefunden, hat man die IP-Adresse und kann dann den Server zurückverfolgen. Daher der Slogan vom AK Zensur „Löschen statt Sperren“.
Wenn es gelöscht ist, dann kann man es auch nicht mehr ansehen, es gibt keine Blockade, die man umgehen könnte.
Er berichtet dann noch von einem Professor, der sich an der Charite mit Pädophilen beschäftigt. Er meinte, diese lachen sich über das Gesetz kaputt. Zum einen wissen die, wie man die Blockaden umgeht und zum anderen nutzen sie gar nicht das Web, sondern P2P-Tauschbörsen.
Nun heisst es inzwischen „Löschen VOR Sperren“. Dies ist aber auch gefährlich, denn es geht ja darum, verhindern zu wollen, dass eine Zensur-Infrastruktur aufgebaut wird, die dann später mißbraucht werden kann. In den letzten Jahren gibt es ja schon genügend Interessengruppen (Musikindustrie, Länder wegen Glückspielseiten, Filmindustrie, bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen usw.), die weitere Sperren fordern.
Ein weiteres Problem ist, dass sich der eigentliche Anbieter der Information gar nicht wehren kann, denn im Zweifel bekommt er davon gar nichts mit. Daher ist „Löschen statt Sperren“ zwar erstmal eine viel härtere Maßnahme, aber der Betreiber bekommt es mit und kann sich dagegen evtl. wehren.
Letzendlich war aber all dies eine Wahlkampfshow, die Ursula von der Leyen auf Kosten misshandelter Kinder und auf Kosten des Internet gemacht hat.
Alvar bemerkte noch, dass noch eine betroffene Institution von entsprechender Größe (z.B. eine Hochschule) gesucht wird, die Verfassungsbeschwerde einreichen kann und will. Zumindest so das Gesetz doch noch kommt. als Privatperson ist dies leider etwas schwieriger, da man zunächst den gesamten Rechtsweg ausschöpfen muss und es somit vielleicht gar nicht erst zu einer Verfassungsbeschwerde kommt.
D.h. auch wenn das Gesetz verfassungswidrig ist (was dieses Gesetz aufgrund vieler Juristen wohl ist, da es nicht in die Kompetenz des Bundes fällt, also gar nicht mal wegen der Zensurinfrastruktur), ist es sehr schwer eine Beschwerde einzureichen.
Stand heute
Das Gesetz liegt beim Bundespräsidenten, der es bislang nicht unterschreibt. Und es kam nur dorthin, da die SPD, obwohl sie gar nicht mehr so für das Gesetz war, aus Angst vor der BILD-Zeitung, ihm doch zugestimmt hat.
Der Bundespräsident hat aber nicht die Möglichkeit, ein Gesetz nicht zu unterzeichnen, weil es ihm nicht gefüllt. Er kann dies nur aufgrund von Verfassungsbedenken. Geäußert hat er sich dazu aber noch nicht.
Inzwischen gab es aber Koalitionsverhandlungen und da wurde beschlossen, das BKA anzuweisen, das Gesetz nicht umzusetzen.
Wir haben also jetzt ein Gesetz, das wurde beschlossen, wird aber nicht umgesetzt. Da dies nicht geht, hat der Bundespräsident nun Fragen an die Regierung gestellt, wie man sich das denn vorstellt. Zu einem „Gegengesetz“ hat man sich aber bislang auch nicht durchringen können.
Verbreitung aus Absurdistan?
Von wo kommen denn diese Inhalte nun eigentlich?
Behauptung: In vielen Ländern werde Kinderpornographie nicht verfolgt. Es wurde Indien und anderes mehr genannt, aber von dort kommen keine Fälle.
Aufgrund der finnischen Sperrliste mit 1000 Einträgen kommen die meisten Inhalte aber aus USA (400 Einträge) und Deutschland (54 Einträge). Da stellt sich die Frage: Warum geht man dan icht gegen vor?
Und was ist auf diesen Webseiten drauf? Laut vielen Analysen sind nur auf den wenigsten der gemeldeten Webseiten wirklich kinderpornographische Inhalte zu finden. Meist sind es normale pornographische Inhalte.
Es ist daher unklar, wie diese Webseiten auf diese Listen kommen. So gibt es sicher Grauzonen. Ein anderes Problem ist, dass die Ermittlungsbehörden die nationalen Behörden gar nicht mehr informieren, dass also die Inhalte dann auch gar nicht gelöscht werden. Zudem werden dadurch die Täter auch gar nicht verfolgt.
Letzteres ist auch eher schwierig für einen Ermittlungsbeamten, denn er müsste eine deutsche Staatsanwaltschaft finden, die ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt einleitet gegen eine Person, die wahrscheinlich kein deutscher Staatsbürger ist. Dies ist ein riesiger bürokratischer Aufwand und deswegen will man lieber sperren.
Fragen
Woher kennt man die Listen?
Die sind teilweise bei wikilieaks veröffentlicht.
Erstellt man damit nicht dann auch einen Index, was man ja eigentlich nicht will?
Ja, und daher sollen diese Listen ja eigentlich auch geheim bleiben sollen. Dass die Listen trotzdem leaken, ist denen nicht bekannt. Zudem kann man es einfach selbst herausfinden, indem man andere Listen nimmt und viele DNS-Abfragen macht und IP-Adressen vergleicht. Dies geht auch ohne Sperrlisten, sondern man geht einfach alle Domains durch. Sicherlich hat man da viel zu tun, aber es ist schaffbar.
Damit ist auch klar, dass irgendwann die Sperrlisten aus Deutschland leaken würden, denn eine solche Sicherheitsarchitektur, die das verhindern würde, will man nicht aufbauen.
Auch ist es als Täter einfach herauszufinden, ob man selbst auf der Sperrliste steht, denn man kann ja auch selbst dann DNS-Abfragen machen und ist somit gewarnt.
Somit sind diese Massnahmen zum Kinderschutz nicht geeignet.
Warum wird nicht mehr international/EU-weit gehandelt
In der EU ist es auf der Agenda, aber generell war die Begründung immer, dass dies zu langsam gehe.
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag
Mehr oder weniger still und heimlich wurde eine Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorangebracht. Dies ist ein Gesetz, das zwischen den Bundesländern ausgehandelt wird. Hier wird behandelt, wie mit Jugendschutz umgegangen wird.
Da sind einige Brocken drin im aktuellen Entwurf:
Access Provider (also die ISPs) werden gleichgesetzt werden mit Inhaltsanbietern. D.h. dass ISPs die gleiche Verantwortung für fremde Inhalte haben, wie der eigentliche Urheber (im Bereich Jugendschutz). Problematische Inhalte aus dem Ausland sollen blockiert werden. Dies hätte also eine sehr umfangreiche Zensurinfrastruktur zur Folge, denn es geht nicht nur um Pornographie, sondern um jegliche Inhalte, die Jugendliche gefährden könnten.
Das Internet wird mit dem Rundfunk gleichgesetzt. Dies bedeutet, es gibt eine „Sendezeitbegrenzung“, ein Rating und eine Verantwortung für Inhalte Dritter.
Bei der Sendezeitbegrenzung müssen z.B. bestimmte Webseiten erst nach 20 Uhr live geschaltet werden. Nach welcher Zeitzone wird aber nicht gesagt und diese Seiten kommen ja nicht nur aus Deutschland (wie sieht es mit Seiten aus den USA aus?).
Beim Rating geht es um eine Kennzeichnung, für welchen Altersbereich eine Webseite (jede einzelne Seite!) geeignet ist. Man könnte einfach sagen, es ist alles für unter 6-jährige tauglich, ist aber ein Problem, wenn das nicht stimmt. Die Alternative ist, dass man alles ab 18 ratet. Dann aber müsste man den Filter aber eh abschalten, wenn man sinnvoll das Internet nutzen will. Es bringt also für den Jugendschutz eigentlich nichts.
Bei der Verantwortung für Inhalte Dritter ist jeder, der irgendwas betreibt, für die Inhalte verantwortlich, die andere Leute bei einem einstellen. Jeder Blogger für jeden Kommentar, Twitter für jeden Tweet jeden Users usw. Es widerspricht also komplett dem Web2.0-Gedanken. Weiterhin sollen Betreiber von sozialen Netzwerken nachweisen, dass Inhalte, die nicht jugendfrei sind, umgehend entfernt werden.