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Familientreffen ohne Erkenntnis? (Bericht vom Jugendmedienschutz-Kongress der Grünen in Wiesbaden)

Am 17.6. war ich auf Einladung der Grünen im Hessischen Landtag in Wiesbaden zu Gast und durfte dort ein bisschen zum Thema Jugendmedienschutz mitdiskutieren. Die Mischung der Gäste war eigentlich recht gut, es waren viele grüne Landespolitiker da, Vertreter von FSM, FSF und FSK, Jugendschützer und natürlich auch interessierte Internetnutzer.

Mein Input

Ich war fast zu Beginn dran und habe in einer kleinen Präsentation dargelegt, wie mein derzeitiger Erkenntnisstand ist und welche Schlüsse ich daraus ziehe. Die Zahlen habe ich ja schon verbloggt, mit der Erkenntnis, dass so gross das Problem ja nicht sein kann. Doch auch die eigentliche Problemdefinition ist ja sehr schwammig, da der Begriff „entwicklungsbeeinträchtigend“ vom Gesetzgeber nicht definiert wurde und auch in der Forschung nicht vorkommt. Um die daraus folgende Rechtsunsicherheit zu beheben, geht zumindest die FSM (aber wohl auch die anderen Selbstkontrolleinrichtungen) daher davon aus, dass es um Werte geht, die dann ihr Beschwerdeausschuss definiert (der zwar pluralistisch besetzt ist, wie man mir erklärte, aber trotzdem natürlich an Transparenz und öffentlicher Diskussion zu wünschen übrig lässt).

Filter als Lösung?

Bei solch schwammigen Problemdefinitionen kann man natürlich eher schlecht Lösungen finden und schon gar nicht verifizieren. Da es aber in der Debatte ja meist um Jugendschutzprogramme ging, habe ich mir auch diese nochmal angeschaut. Und diese kranken natürlich alle an demselben Problem: Der Fülle der Dinge, die im Internet der Kinder harren. So werden pro Minute 48 Stunden neues Videomaterial bei YouTube hochgeladen oder 1 Mrd. neue Webseiten pro Tag erzeugt (so diese Zahl stimmt). Diesen Umfang kann keine vernünftig gepflegte Filterliste behandeln, womit man also ein drastisches Over- oder Underblocking hätte, je nach Mechanismus.

Auch die Effektivität solcher Filterprogramme wäre in Frage zu stellen, denn dank USB-Sticks, Smartphones oder einfach Freunden um die Ecke, sollte ein jeder Jugendliche an alles, was er will, auch drankommen. Es bleibt also bei den Eltern dann doch eher eine trügerische Sicherheit zurück, zumindest, wenn es um ältere Kinder geht. So wurde in der folgenden Diskussion auch angemerkt, dass man wohl zwischen Kindern und Jugendlichen unterscheiden müsse. Wie genau diese Unterscheidung aussehen könnte und was die Schlussfolgerungen sind, blieb aber leider eher offen.

Was tun?

Mein Fazit war daher, dass man zunächst das Problem mal genauer definieren müsste, indem man für mehr Forschung sorgt und auch eine gesellschaftliche Debatte über Werte führt. Diese wäre allerdings kontinuierlich zu führen ist und bräuchte auch Feedback bzgl. der Effektivität von „Lösungen“. Man sollte zudem von der Technikgläubigkeit weg kommen und sich auch die Frage stellen, was es für eine Gesellschaft heisst, wenn sie keine Zeit für ihren Nachwuchs hat. Gerade bei so schwammigen Problemstellungen und Lösungen, die Kinder pauschal in Altersgruppen einteilen, ohne individuell auf ein Kind eingehen zu können, wären Ansprechpartner z.B. in der Schule dann doch sinnvoller. Zudem sollten Werte auch nicht durch Weglassen, sondern eher offensiv, durch Erklären, was richtig und was falsch ist, vermittelt werden.

Ich schloss damit, dass wir, wenn wir in Zukunft mit dem rasanten Wandel noch mithalten wollen, von der 150%-Sicherheitsmentalität weg müssen, hin zu einer Einstellung, wo man bewusst Risiken eingeht, um Chancen zu nutzen und zudem auch eine gewisse Sicherheit erlernt hat, dass man Probleme zu lösen weiss, wenn sie denn auftreten.

Die Studienproblematik

Friedemann Schindler von jugendschutz.net war allerdings nicht immer meiner Meinung. So erklärte er, dass man ja im Bereich Filter nicht alles im Internet durchschauen müsse, sondern nur das, wo die Jugendlichen auch draufschauen. Wie genau er das aber (auch präventiv) wissen will, blieb aber leider offen. Allerdings würde ich ihm zustimmen, dass die meisten Studien doch ein paar Schwachstellen haben, nämlich dass sie einen relativ grossen Altersbereich pauschal untersuchen (9-16 im Falle der EU Kids Online Studie). Hier würde mich z.B. auch interessieren, wie sich das in soziale Schichten aufgeteilt darstellt. Zudem sind die Begrifflichkeiten (z.B. „Porno“) doch recht schwammig.

Er sagte weiterhin, dass Deutschland aufgrund des relativ guten Jugendschutzes im Vergleich mit den Nachbarländern gut dastehen würde, und der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die auf solche Inhalte stossen würden, geringer sei als anderswo. Dem widersprach allerdings ein Lehrer aus dem Publikum, der anmerkte, dass es keinen 14-jährigen Schüler gebe, der noch keinen Porno gesehen hätte. Hier wäre aber sicher auch wieder die Frage zu stellen, ab wann es denn „entwicklungsbeeinträchtigend“ wird (vielleicht auch, ob man das in der EU gleich definiert).

Es geht nicht nur um Pornos

In der weiteren Diskussion wurde angemerkt, dass es sich ja nicht nur um den Bereich „Pornographie“ handeln würde, sondern auch um Mobbing oder Verbraucher- und Datenschutz. Auch müsse man eher zwischen Kindern und Jugendlichen unterscheiden. Was die Konsequenzen einer solchen getrennten Sichtweise dann sein könnten, wurde allerdings nicht so wirklich erörtert. Zudem geht es ja trotzdem beim Begriff JMStV doch eher um „schädliche“ Inhalte und nicht so sehr um Datenschutz. Auch von daher war es etwas unklar, welches Problem wir eigentlich gerade erörtern. Hier wäre mehr Struktur in der Debatte wünschenswert.

Die Workshops

Auch in den folgenden Workshops ging es dann nicht wirklich um Fragen wie Mobbing oder die Unterscheidung Kinder/Jugendliche, sondern einerseits um eine Vertiefung der Technikdebatte, eine Diskussion zu Freiheit vs. Schutz, wo sich aber, wie ich so hörte, alle eher einig waren und ein Workshop, wo FSK, FSF und FSM zusammen sassen und ihre Vorgehensweisen vorstellten (dazu noch separat mehr). Soviel raus kam aber eigentlich nicht.

Nachmittags folgte dann der Teil „Medienkompetenz“, wo es zunächst wieder eine Einführungsrunde in das Thema gab, wo fragFinn und Projekte des Instituts für Medienpädagogik im Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz e.V. vorgestellt wurden. Dort fielen von Albert Treber so Sätze wie „Ich weiss auch nicht, das Medienkompetenz ist, da es ein Containerbegriff ist und alles oder nichts heissen kann“ oder „Wir müssen Medien produzieren, um sie zu begreifen“. Zudem war er der Meinung, dass Schule der falsche Ort ist, um diese Fähigkeiten zu erlernen, da man mehr Zeit braucht als 45-Minuten-Einheiten. Als Beispiel zeigte er zudem ein Musikvideo, das er mit Jugendlichen gedreht hat.

Es folgten parallele Workshops, wo einerseits Projektbeispiele vorgestellt wurden, eine Diskussion über die kontinuierliche Weiterentwicklung des Jugendmedienschutzes und eine Diskussion darüber, was Landespolitik tun kann, um Medienkompetenz zu fördern. Bei letzterem Workshop gab es vor allem Beispiele, was NRW oder Hessen in diesem Bereich tun. Interessant war hier, dass fast alle Lehrer wohl Medien in der Unterrichtsvorbereitung nutzen, nur wenig aber im Unterricht. Der Grund sei hauptsächlich, dass das didaktische Rüstzeug fehle. So würden dies auch eher erfahrende Lehrer machen und somit würde sich das auch nicht unbedingt „herauswachsen“, sondern die einzige Lösung sei laut Mechthild Appelhoff (LfM NRW), dies verbindlich einzufordern und nicht freiwillig gestellt zu lassen.

Kam auch was raus?

Ja, das ist die Frage. Ich hab bei all diesen Veranstaltungen das Gefühl, dass alles ein bisschen ohne Ziel diskutiert wird. Es gibt zwar Themenkomplexe, aber eine Zielsetzung, was wir denn in einem Workshop erreichen wollen, fehlt meist. Die geladenen Gäste haben natürlich mehr Rederecht als die restlichen Teilnehmer, was eine Diskussion eher hinderlich ist. Auch wird leider meist nichts bis wenig dokumentiert (zumindest nicht öffentlich), so dass jede Diskussion zwangsläufig immer wieder fast bei 0 beginnt.

Insofern würde ich mir mehr Struktur und eine Zielsetzung wünschen. So hätte man am Ende zumindest ein Brainstorming zur Frage „Wie machen wir weiter“ machen können, um ein paar Ideen zu sammeln. So wird es wohl auf den nächsten Kongress/Anhörung hinauslaufen, wo wahrscheinlich wieder vieles wiederholt werden dürfte.

Allerdings scheint sich eines zumindest zu ändern: Wo man im letzten Jahr doch eher harte Abgrenzungen sah, weicht dies nun doch weiter auf und mehr und mehr scheinen Medienkompetenz und Realismus in die Debatte einzufliessen. Das zumindest sehe ich mal als gutes Zeichen, auch dies natürlich die Frage, wie es weiter gehen könnte, doch komplizierter macht, da nicht alles (soweit ich weiss) im JMStV abgehandelt werden kann.

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