Die Diskussion um den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zeigt es einmal mehr: Unser politische System ist am Ende und den neuen Zeiten nicht wirklich gewachsen. Zeiten, in denen es um Themen und nicht um Parteien geht, um Mitbestimmung und Transparenz und nicht um Vertrauen in Hinterzimmergeklüngel.
Man sieht dies beim JMStV sogar direkt doppelt.
Woher kommt der JMStV?
Irgendwann war sie da, die Novellierung des JMStV, irgendwie aus dem Nichts. Sicher, man hätte irgendwas mitbekommen können, aber die Erarbeitung ist doch hauptsächlich hinter den dicken Wänden der Staatskanzlei RLP geschehen. Es ist dabei unklar, wer so genau mitgearbeitet hat, es ist unklar, warum eine Novelle überhaupt notwendig wurde, gar was sie eigentlich erreichen soll. Erklärungen fehlen und was herauskam ist ein ziemlich chaotischer und unverständlicher Text, in den jeder hineininterpretieren kann, was er will.
Und wenn man so intransparent arbeitet, darf man sich natürlich nicht wundern, dass der Öffentlichkeit nachher nur eines bleibt, nämlich Meckern.
Doch Erarbeitung in Hinterzimmern ist nur das eine Problem, denn das wäre ja vielleicht gar nicht mal so schlimm, wenn dieses Dokument aus nachvollziehbaren Gründen unter Abwägung aller Aspekte entstanden wäre. Darauf deutet aber eher wenig hin, ganz zu schweigen von einer Darlegung dieser Abwägung. Mehr sieht es auch wie Jugendschutz mit dem Holzhammer.
Das zweite Problem ist daher die Art und Weise der Erarbeitung. Politische Entscheidungen sind zu sehr von Partikularinteressen als von Fachwissen geleitet, was natürlich durch die Intransparenz des Prozesses gefördert wird. Fakten sind nicht wirklich von Belang.
Mangelnde Öffentlichkeit (und damit Kontrolle) und eine faktenlose Entscheidungsfindung sind aber genau das, was „hier draussen“ keiner versteht.
Der parlamentarische Prozess
Dann ging es weiter mit der Absegnung des JMStV durch die Parlamente. Eigentlich eine Formsache, in NRW allerdings ein politische Trauerspiel sondergleichen.
Die Fakten lagen nun auf dem Tisch und wurden in verschiedenen Briefen und Beiträgen zigmal wiederholt. Und das, obwohl die Unverständlichkeit des Textes alleine schon ausreichen würde, für eine Novellierung der Novellierung zu plädieren. Doch was machen die Parteien? Sie spielen Spielchen. Es geht wiederum nicht um Fakten, es geht um „unser Kind“, „irgendwas muss man doch machen“ und „ihr habt doch auch keine Alternative“. Und es geht um „Wir entscheiden mal nicht, sondern lassen das den Koalitionspartner machen“ und der macht es dann genauso, bis einen die Opposition dann vorführt. Es geht um „parlamentarische Zwänge“, um den Handel mit Zustimmungen zwischen Parteien. A
Es waren also nicht die Fakten, die den JMStV zu Fall brachten, sondern es war der Druck. Man mag sich dann die Frage stellen, warum man sich eigentlich die Mühe macht, Fakten zu sammeln, wenn die „Gegenseite“ das a) auch nicht tut und b) sie eh irrlevant sind.
Aber das Beste passiert ja gerade erst: Jetzt wird so getan, als wäre man der Held schlechthin und hätte im Alleingang den JMStV gestoppt! Die Ausnahme ist Herr Beck, denn der ist jetzt beleidigt, hat das Problem einer vorgefertigten Pressemitteilung und will nun sowas in Richtung Zensur einführen.
Aber mal abgesehen vom Fachwissen: Wer bitte soll Politik so noch ernst nehmen? Wieso genau sollte man zur Wahl gehen? Die Frage werden sich nach diesem Kapitel wahrscheinlich noch mehr Menschen stellen. Menschen, die das Internet benutzen und derer gibt es jeden Tag mehr! Und wenn dies der Fall ist, dann ist auch klar: Das System versagt gerade!
Doch was ist jetzt anders?
Aber es hat doch bislang immer so schön funktioniert, warum denn jetzt nicht mehr. Warum reicht ein „Da müssen wir das dem Bürger nur besser erklären“ nicht mehr aus?
Die Antwort ist wohl klar: Weil das Internet existiert. Es gibt keine kleinen Stammtische mehr, die jeder für sich mal irgendwas schlecht finden können, aber ansonsten nichts voneinander wissen. Es gibt auch nicht mehr nur Zeitungen, wo so Nischenthemen wie der JMStV halt keinen Platz haben. Es gibt auch weniger und weniger ein „Das hab ich schon immer gewählt“ mehr.
Es gibt jetzt Bürger, die sich vernetzen, die mitbekommen, was passiert, die eine kritische Masse bilden, so dass sich ein Thema aufschaukelt und eine Bewegung entsteht. Es gibt jetzt Bürger, die wissen wollen, was abgeht und das auch erfahren können. Und was sie sehen, ernüchtert sie und macht sie ggf. zum Teil auch wütend. Selbst wenn man dann versucht mitzumachen, sich also schlau macht, versucht, die andere Seite schlau zu machen, selbst dann läuft man noch gegen eine Wand, die zur Not „parlamentarischer Zwang“ oder „staatspolitische Verantwortung“ heisst.
Und dass die Mobilisierung im Internet zunimmt, das sehen wir auch im Vergleich zum letzten Jahr. Sahen wir da hauptsächlich ein Internetthema im Fokus der Internetnutzer, so ist es dieses Jahr nicht nur der JMStV, sondern auch Castor, S21 und Wikileaks, also eine Verschmelzung von Offline-Themen und Online-Kommunikation und -„Campaigning“, wenn man das so nennen kann.
Themen statt Parteien
Und ja, es geht eben um Themen. Es geht nicht um Parteien. Es gibt nicht die SPD-Bewegung oder die Grünen-Bewegung im Netz, wie man sogar anhand der „Koalition der Jüngeren“ von Jusos, JuLis und JU in Sachen JMStV sieht. Es geht quer durch die Parteien. Und so es nicht ein Kernthema einer Partei betrifft, wird das auch immer so sein.
Nun fordert so manch ein SPD-Anhänger dazu auf, in die SPD einzutreten, um mitzuhelfen, netzpolitisches Verständnis zu verbreiten. Damit die SPD dann blendend dasteht, nehme ich an. Doch frage ich mich: Warum nur SPD? Wenn die CDU an der Macht ist, hätte ich zumindest auch dort gerne ein Verständnis für das Thema Internet, auch wenn man vielleicht zu anderen Schlussfolgerungen kommt.
Auch geht es eben nicht nur um Netzpolitik, sondern eben auch um das System. Denn „parlamentarische Zwänge“ werden damit nicht abgeschafft. Hinterzimmer-Staatsverträge auch nicht. Und damit wird es auch nicht um Fakten gehen.
Ist noch was zu retten?
Zu retten ist natürlich immer noch was, die Frage ist wohl eher, wie wahrscheinlich das ist. Wie oben gesagt, reicht es nicht aus, dass die Parteien fitter im Umgang mit dem Internet werden, es sei denn indirekt. Denn je mehr es genutzt wird, desto eher frisst einen nämlich das „System Internet“, so man eben direkt Feedback bekommt und der Druck nach Transparenz einfach greifbarer ist.
D.h. auf lange Sicht bin ich da eher optimistisch. Aber das dauert. Wie ich beim Dialog Internet gemerkt habe, trennen uns Welten von den nicht so netzaffinen Leuten, die Google und E-Mail, aber keine sozialen Netzwerke nutzen. Das zu ändern geht nicht über Nacht.
Hinzu kommt, dass es Veränderung bedeutet, und evtl. sogar Veränderung unseres demokratischen Systems. Sollte das System nicht komplett kippen, wird dies zwar eher in kleinen Schritten geschehen anstatt einer Revolution, aber Vorsicht wird man hier dennoch walten lassen wollen und müssen.
Und dann sind da natürlich noch die Strukturen, die so sehr von ihren Hinterzimmern abhängen. Das werden die verteidigen und man sieht dies tagtäglich, sei es in der Internet-Enquete, dem Dialog Internet oder auch innerhalb der Parteien und Verbände.
Was nun gewinnt, Politikverdrossenheit oder eine Reform, ist schwer zu sagen. Ich gehe im Moment noch von letzterem aus, da unsere Demokratie ja doch stärker ist, als man gemeinhin annimmt, aber ein schnelleres Umdenken wäre natürlich wünschenswert. Schön wäre es, wenn wir zu einer offeneren und öffentlicheren Debattenkultur, in der man sich auch mal bewegen und seine Meinung offen aussprechen darf. Schön wäre es, wenn in dieser Kultur auch Fakten statt Zwänge im Vordergrund stehen würden.
Was passiert, werden wir sehen. Spannend bleibt es allemal.