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Mal was über Pornos

Update: Natürlich steht das im JMStV, da der Jugendschutz das so vorschreibt. Von daher ist natürlich auch die Frage zu stellen, warum das im Jugendschutz so drinsteht. Insbesondere auch, weil ja Jugendsexualität existiert und evtl. nicht tabuisiert werden sollte. Dazu schreibt Starke ja auch in seiner Zusammenfassung noch etwas (siehe unten).

Eine Sache, die im Jugendmedienschutzstaatsvertrag ja explizit geregelt ist (im Gegensatz zu so schwammigen Formulierungen wie „eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit“), ist die Pornographie. Dort steht (in der alten wie neuen Version):

(2) Unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Angebote ferner unzulässig, wenn sie

1. in sonstiger Weise pornografisch sind,

[…]

In Telemedien sind Angebote abweichend von Satz 1 zulässig, wenn der Anbieter sicherstellt, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden.

Und da dachte ich mir doch, dass ich mal schaue, ob und in welchem Masse denn Pornographie für Jugendliche eigentlich schädlich ist, denn eines ist ja wohl klar: Jeder Jugendliche wird ja wohl schonmal mit Pornographie in Berührung gekommen sein.

Schonmal zusammenfassend

Die Zusammenfassung zu Beginn: Die Studien und Untersuchungen, die ich gefunden haben, kommen alle zu dem Ergebnis, dass Pornographie für die normale Entwicklung von Jugendlichen nicht schädlich ist. Der Zugang ist so einfach wie nie und evtl. kann man falsche Vorstellungen in Bezug auf Körperbau, Ausdauer usw. erhalten, Medienkompetenz und die Eltern als Ansprechpartner sollten diese Probleme aber relativieren.

Insofern stellt sich die Frage, ob wir es denn mit einem wirklichen Problem zu tun haben und sich demnach der Jugendschutz und damit auch der JMStV dessen annehmen muss.

Nun aber im Detail (alle Hervorhebungen in den Zitaten von mir).

Generation Porno

Beginnen wir mit einem Buch, dessen Titel auch gerne mal als Schlagwort durch die Presse geistert: „Generation Porno“ von Johannes Gernert.

Gelesen habe ich es nicht, aber ich habe mir die beiden Rezensionen auf Amazon angeschaut.

So schreibt Benutzer Joroka u.a.:

Das Buch wirkt wie eine Zusammensetzung von einzelnen Fachartikeln, die jedoch nicht uninteressant geschrieben sind. Als unbedarfter Leser erhält man umfassende neue Informationen und einen guten Einblick in das diesbezügliche Konsumverhalten der jungen Generation.
Gernert propagiert nun kein Verbot, sondern er appelliert an den diesbezüglichen Erziehungsauftrag von Eltern, Lehrern und sonstigen relevanten erwachsenen Personen, die den Jugendlichen einen angemessenen Umgang mit den unbegrenzten Möglichkeiten nahe bringen sollen. Entsprechend schließt er mit einem Ratgeberteil „Wie Sie mit Ihrem Kind über Sexualität und das Internet reden können“ ab.

Und davjan schreibt:

Eines vorneweg, wer hofft sein Vorurteil würde bestätigt, dass unsere Jugend keine Moral und Werte mehr hätte, wird enttäuscht. Denn anders als der Titel „Generation Porno“ suggeriert, ist die Situation die Johannes Gernert darstellt nicht schwarz-weiß. Der Versuch sich dem Thema anzunähern gelingt, indem er verschiedene Experten und Autoren zu Wort kommen lässt, und eben auch Jugendliche interviewt.
[…]
Es beruhigt zu lesen, dass die meisten Jugendlichen ihren Verstand nicht abschalten und den falschen „Wahrheiten“ zumindest kritisch gegenüber stehen. Beunruhigend dagegen ist die Tatsache, wie sprachlos Eltern, Lehrer und Politiker sind, angesichts der Flut von pornografischen Bildern und Filmen mit denen Kinder und Jugendliche im Internet konfrontiert werden.

Studie der niedersächsischen Landesmedienanstalt

Auch diese Studie (zu der ich nur die Zusammenfassung gefunden habe) geht auf den Begriff „Generation Porno“ ein. Medienwissenschaftlerin Dr. Petra Grimm erklärt aber, dass es „Die von den Medien oft beschworene ´Generation Porno´ [nicht gibt]“.

Sie fügt hinzu:

Allerdings sei Internetpornografie aus Sicht der Jugendlichen völlig normal und Bestandteil des alltäglichen Medienkonsums bei den männlichen Jugendlichen, erläuterte die Professorin von der Hochschule der Medien Stuttgart. Mädchen erlebten sie als alltägliche Erfahrung im Internet, lehnten sie aber als „eklig“ ab. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Alle Jugendlichen sind im Internet auch unfreiwillig auf Porno-Inhalte gestoßen.

[…]

Welche Einstellung Jugendliche zu Pornografie haben, hänge einerseits von ihrem Alter und ihrer sexuellen Erfahrung ab, andererseits von ihrer Medienkompetenz. Die auf die Tagung eingeladenen Experten, Sexualwissenschaftler und Pädagogen, waren sich deshalb einig, dass das Thema Pornografie im Alltag nicht tabuisiert werden darf, sondern dass mit und unter Jugendlichen ein Dialog über den Einfluss der Pornografie auf ihre Sexualität und Partnerschaft sowie auf ihre Einstellung zum anderen Geschlecht geführt werden müsse. Nach Auffassung des Direktors der NLM, Reinhold Albert, sollte Aufklärungsarbeit in speziell zu diesem Thema konzipierten medienpädagogischen Projekten erfolgen.

Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Bei LexiTV wird auf eine weitere Studie zum Thema eingegangen, diesmal von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Wieder dasselbe Ergebnis:

Es scheint, als sei die „Generation Porno“ nicht mehr als ein Schreckgespenst. Sicher, viele Teenies schauen sich heute wie selbstverständlich Pornos an. Die meisten aber könnten zwischen Fiktion und Realität unterscheiden, der kurze Kick habe keinen Einfluss auf ihr Sexualverhalten, sagt Herta Richter-Appelt. Vielmehr beobachtet die Expertin, dass das Überangebot an Sex echte, auf Liebe, Nähe und Treue basierende Intimität zwischen jungen Leuten immer wichtiger werden lässt. Die Sehnsucht nach einer langen Bindung sei groß wie nie.

Jugendsexualität zwischen Fakten und Fiktionen

Nun zu einer Studie, wo ich nicht nur eine Zusammenfassung, sondern auch die Studie selbst fand, nämlich eine vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Forschung dauert auch noch an, aber es gibt einen Vortrag auf der Fachtagung „Intimität im Netz – Sexual- und Medienpädagogik zwischen jugendlicher Selbstbestimmung und Gefährdung“ vom Februar 2010, auf den ich mich hier beziehe.
Hier gibt es das PDF.

Diese Studie beginnt direkt mit der Feststellung:

Die zyklisch auftretenden Diskussionen über jugendsexuelle Katastrophen spiegeln eher Phantasmen der Alten als reale Verhältnisse bei den Jungen wider.

Und dies wohl nicht nur dieser Tage, sondern z.B. auch schon im 19. Jahrhundert. Interessant sei zudem, dass „wie heute in der Pornographiedebatte, eine solitäre, phantasienahe Form der Sexualität besonders gegeißelt wird“, d.h. Chatten und Flirten sind von der Debatte eher wenig betroffen.

Das reicht im Hinblick auf den JMStV vielleicht schon, aber auch der Rest der Studie ist interessant im Hinblick darauf, wie Jugendliche mit dem Thema umgehen. Hier ein paar Stichpunkte.

Der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen

Wie schon erwähnt, ist der Zugang zu Pornographie dank des Internets heutzutage kein Problem mehr. Doch wie reagieren Jungen und Mädchen darauf?

  • Jungs: KFN-Studie: 1/3 der 15-jährigen konsumieren regelmäßig Pornographie. Hamburger Studie: Die Hälfte der 16- bis 19-jährigen Jungen konsumieren einmal oder mehr die Woche Pornographie. Dadurch im Zeitrahmen von 13/14 bis 18/19 grosse Erfahrung mit Pornowelten.
  • Mädchen: wenig gezielter Konsum, aber Kontakt. Man sucht es selten selbst auf, es ist aber ok, wenn andere sich das anschaun.

Diese Zahlen für sich sagen aber nur aus, dass Pornographie recht normal ist, sie sagen noch nichts darüber aus, was denn Pornographie mit Jugendlichen macht. Auch sagt sie nichts darüber aus, wozu denn Pornographie genutzt wird.

Was tun Jungs mit Pornos?

Hier gibt es drei Unterscheidungen:

  1. Allein: Kommt am häufigsten vor, vor allem zur Masturbation. D.h. die beiden Dinge hängen direkt zusammen, man kann das eine nicht ohne das andere diskutieren. Bei Mädchen kommt dies aber im übrigen kaum vor.
  2. Peer-Groups: Zweithäufigst. Es geht grob gesagt um Angeben, Pornos werden per Handy ausgetauscht, man macht sich eher drüber lustig, erregt zu sein ist „uncool“.
  3. Mit der Freundin: Kommt sehr selten vor und nur sporadisch.

Was tut Pornographie mit Jugendlichen?

Über die Auswirkungen von Pornographie weiss man empirisch wohl recht wenig. Theoretisch sieht es aber schon anders aus. So nennt die Studie verschiedene Wissenschaftler, die darin übereinstimmen, dass die sexuelle Grundprägung schon in Kindheit und Vorpubertät entsteht. Sie ist also schon vorhanden, wenn man zum ersten Mal mit dem Thema Sex in Berührung kommt.

Sie leiten daraus zwei Thesen ab:

These 1. Der 12-, 13-, 14- oder 15-jährige Jugendliche, der oder die sich Pornographie ansieht, ist nicht wie eine leere Tafel, in die nun pornotypische Skripte eingraviert werden. Vielmehr treffen die pornographischen Stimuli auf eine schon vorhandene Struktur des Begehrens. (Möglicherweise helfen ihm oder ihr die Bilder im Prozess der Sexualisierung seiner oder ihrer Lovemap).

These 2. Dieser Teenager wird sich vor allem für solche pornographischen Stücke interessieren, die seiner oder ihrer Lovemap entsprechen, und vor allem solche Stücke aufsuchen.

[…]

Sie führen weiter aus, dass wohl doch eher der „normale“ Sex bevorzugt wird und man sich anhand dessen auch die Pornos auswählt, die man schaut. Das andere ist eher abstossend.

Weiter heisst es (mal wieder):

Die geläufige Annahme, dass der jugendliche „User“ der Pornographie in progredienter Weise verfällt, dass die Reize „immer toller, immer härter, immer extremer, immer wilder“ werden müssen, erweist sich damit auch als Phantasma der Erwachsenen, als Fiktion.

Sie nennen dann zwei empirische Studien, wobei die eine zu keinem klaren Ergebnis kommt, ob Pornographie-Konsum zu einem abschätzigen Frauenbild führt. Die andere kommt zu dem Ergebnis, dass die Häufigkeit des jugendlichen Pornokonsums keinen Einfluss darauf hat, wie später eine Beziehung wahrgenommen wird.

Diese Befunde widersprechen der immer wieder zu hörenden Besorgnis, dass der Pornokonsum Jugendlicher ihre Bilder vom Sex im Sinne der Sexual- und Geschlechterstereotype der Pornografie verzerrt, entstellt oder korrumpiert.

Interaktionelle Skripte

Dann geht es noch um die Frage, ob denn der Pornokonsum das Verhalten dem anderen Geschlecht gegenüber beeinflusse, wie man sich also sexuell annähert usw.

Hier spricht die Studie von einer Erweiterung dieser interaktionellen Skripte, wie sie es nennen. „Da sieht man was, was man gut brauchen kann“ wird ein 18-jähriger zitiert. Dieses wird dann durchaus in der Praxis auch erprobt, Stellungen z.B.

Im Gegensatz zu früheren Generationen, die solche Informationsquellen nicht hatten und damit „underscripted“ (bzw. orientierungslos) waren, ist die aktuelle Generation dagegen laut Studie „overscripted“, wobei auch Soaps und Kinofilme dazu beitragen. Was genau das aber heisst und ob dies nun gut oder schlecht ist, sagt man an dieser Stelle nicht.

Virtuelle und reale sexuelle Welten

Zum Schluss geht die Studie noch auf die Frage ein, ob Jugendliche denn zwischen diesen beiden Welten unterscheiden können. Zur virtuellen Welt gehört allerdings nicht nur Pornographie, sondern natürlich auch die eigene Fantasie. Wir wissen diese Welten zu unterscheiden und laut der Hamburger Studie wissen Jugendliche das gemeinhin auch, wobei sie den Wert der persönlichen Erfahrung und den Einfluss von Gefühlen unterstreichen. In Pornos ginge es ja doch nur um das eine.

Ich denke, dass es in der Realität schöner ist, weil man nicht darauf bedacht sein muss, besonders lange durchzuhalten und alle möglichen akrobatischen Stellungen durchzuführen und das Publikum zu begeistern, sondern dass es einfach spontan ist.

Update: Studie von Prof. Kurt Starke

Man hat mich auf eine weitere Studie von Prof. Kurt Starke aufmerksam gemacht (hier das PDF dazu), die zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Ab Seite 101 gibt es eine Zusammenfassung, die u.a. folgende Punkte enthält:

  • Eine schädliche Wirkung von Pornografie per se auf Jugendliche kann nicht belegt werden.
  • Pornografie existiert, und es gibt Gründe dafür. Sie ist Bestandteil der marktwirtschaftlichen Gesellschaft und folgt den Mechanismen dieser Gesellschaft.
  • Trotz aller Liberalisierungen und in Verkennung der Jugendsexualität gilt Sexualität noch immer als etwas, wovor Jugendliche so lange wie möglich bewahrt werden müssen.
  • Neugier, Erkenntnisdrang, Lernlust, Spaß, Erfahrungssammlung, Bewertungsübung, vor allem aber sexuelle Lust und sexuelle Befriedigung Jugendlicher werden ins sittliche Abseits gestellt.
  • Bestimmte Inhalte, die der Pornografie vorgeworfen werden, wie Gewalt oder rückständige Frauen- und Männerrollen, sind nicht pornografiespezifisch und keine invarianten Merkmale von Pornografie.
  • Pornografie ist nicht verbietbar und nicht ausrottbar.
  • Jugendliche erfahren, dass das, was in Darstellungen sexuellen Inhalts widergespiegelt ist, was sie betrachten und häufig genug selbst tun, dem Gesetzgeber nicht passt. Es ist nicht auszuschließen, dass Jugendliche, wenn sie im Internet sexuelle Szenen in Gestalt „einfacher Pornografie“ zur Kenntnis nehmen, in psychische Konflikte geraten können, die sich negativ auf ihre Persönlichkeitsentwicklung und speziell ihr Sexualverhalten auswirken […]

Generell empfiehlt sich natürlich die Lektüre der kompletten Studie.

Zusammenfassung

Für mich sprechen diese Funde ein klares Bild, was unsere Jugendlichen anbelangt.

  • Pornographie ist alltäglich
  • Eine Verrohung findet nicht statt, eher eine Wendung hin zu Liebe
  • Man kann zwischen realer Welt und der Porno-Welt durchaus unterscheiden
  • Man gibt (natürlich) mit Pornos an
  • Ein schädlicher Einfluss ist nicht zu erkennen

Es bleibt die Frage: Wieso braucht es einen regelnden Jugendschutz und damit Jugendmedienschutzstaatsvertrag in diesem Bereich, wenn es doch gar kein Problem gibt?

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