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Piraten zwischen Systemfutter und Chaos

Seit Piraten begonnen haben, in Parlamente einzuziehen, stellte sich die Frage, wie lange es wohl dauert, bis man sich dem politischen System anpasst. Was hörte man so alles: Man wolle anders sein, authentischer, man wolle Entscheidungen faktenbasiert, transparent und nachvollziehbar treffen und wenn andere Parteien die entsprechenden Themen vernünftig bearbeiten, würde man dies sagen und evtl. bräuchte es die Piraten dann auch nicht mehr.

Doch wie hörte es sich nun beim Bundesparteitag der Piraten an? Schon in der Eröffnungsrede hiess es: „Diese Politik kann nur von uns kommen“. Piraten also „alternativlos“? Das übliche Schema „wir super – alle anderen doof“ also auch hier. Ist es das, was Sebastian Nerz mit „in der Realpolitik angekommen“ meinte?

Das BGE

Eine der Entscheidungen mit größeren Folgen auch für die Partei intern dürfte dann wohl am Samstag auch der Beschluss zum BGE gewesen sein. Man fordert also die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und will den Bundestag beauftragen, alle bestehenden Modelle auf Vor- und Nachteile zu untersuchen.

Doch wieso sagt man, dass das BGE die einzig wahre Lösung für das „Recht auf sichere Existenz und gesellschaftlicher Teilhabe“ ist, wie es im Antrag heisst? Welche Möglichkeiten hat man denn untersucht? Welche konkreten Probleme bestehen denn in Bezug auf dieses Recht? Und was macht man, wenn sich alle Modelle als unfinanzierbar erweisen?

Per Twitter mal rumgefragt, bekommt man nur recht einfache Antworten. So heisst es z.B., dass man einfach oben was wegnehmen und unten geben müsse und dann wird es sich schon rechnen, z.B. indem man einfach keine Banken mehr rettet. Ob das Finanzsystem das nun aushält oder nicht, scheint egal zu sein.

Doch sind solche platten Antworten wirklich das, worunter man sich auf Fakten basierende Entscheidungen vorstellt? Auch in der Debatte schien es mir mehr, dass man sich da in etwas reingesteigert hat, was nun alle Probleme dieses Landes lösen soll. Und das erinnert mich doch sehr an die fixe Idee der Steuersenkungen der FDP.

Daher von mir hier mal die Aufforderung: Definiert doch bitte zunächst mal genau und nachvollziehbar die konkreten Probleme und dann diskutiert ergebnisoffen alle Lösungsmöglichkeiten. Das würde vielleicht auch innerparteilich sinnvoller sein, da es ja aufgrund des BGE-Beschlusses auch intern einigen Unmut gibt.

ESM?

Ein ähnliches Problem zeigt sich auch bei der Frage, ob man den ESM-Vertrag ablehnen sollte oder nicht. So wurde viel diskutiert, aber doch wenig an Fakten genannt. Zudem kann man bei dem Vertrag ja auch zwei Dinge diskutieren: Einmal die (fehlenden) Möglichkeiten der demokratischen Kontrolle und andererseits das eigentliche Ziel des Vertrags. Beides sollte meiner Meinung nach getrennt diskutiert werden. Zudem sollte man den Vertrag auch sicher einmal gelesen haben, bevor man hier eine Entscheidung trifft (was Christopher Lauer anmahnte und wo er recht hat). Und wenn man ihn ablehnt, würde ich von einer Partei dann auch erwarten, eine Alternative zu liefern, die sicherlich nicht einfach zu finden sein dürfte.

Doch auch hier auf Twitter wieder abwehrende Meinungen, man müsse sowas nicht gelesen haben, man müsse auch keine Alternativen nennen, es würde reichen, dass man (irgendwie) weiss, dass der Vertrag Mist ist. Und vorher beim Parteitag alle anderen Parteien als Politik-Noobs bezeichnen? Das passt nun nicht wirklich zusammen.

Transparenz und Nachvollziehbarkeit?

Auch stellt sich die Frage, wie transparent denn das alles nun ist. Schaute man während des Parteitags auf die Homepage, gab es zwar ein paar Pressemeldungen dazu, aber einen direkten Link in gross und fett zur Parteitagsseite fand man dagegen nicht. Dazu musste man schon wissen, dass es wohl im Wiki ist und auch dort war es nur relativ kleingedruckt. Auch die Seite selbst könnte noch etwas an Übersichtlichkeit vertragen. So würde mich interessieren, welche Anträge es überhaupt gibt, wie deren Status ist, was gerade dran ist und pro Antrag auch noch ein Link zu der Stelle, wo man nachverfolgen kann, wie es zu dem Antrag kam, welche Fakten gesammelt und wie sie bewertet wurden.

Denn eins ist doch klar: Wenn selbst Piraten wissen, dass man im Wiki nichts findet, so weiss der Bürger ggf. nichtmals, was ein Wiki ist. Zur Transparenz gehört nämlich nicht nur, dass es irgendwo steht, sondern auch, dass man es findet (sucht man nach BGE findet man im übrigen zunächst die AG, die eher tot zu sein scheint, obwohl es ja diese Seite mit recht vielen Informationen gibt).

Mein Fazit

Sicherlich haben die Piraten im Moment das Problem des eher ungesunden Wachstums, dem die Strukturen, und auch die Parteitagsmethodik, nicht unbedingt gewachsen ist. Hunderte von Anträgen, die mehr oder weniger stark durchdacht sind. Hunderte von Anträgen, die meist erst beim Parteitag mal richtig diskutiert werden, was man mangels Zeit aber nicht wirklich zu Ende diskutieren kann. Hunderte von Anträgen, die nicht wirklich transparent entstanden sind, zumindest nicht für einen Aussenstehenden nachvollziehbar.

Dazu dann noch der Wunsch, in den Bundestag einzuziehen und innerparteiliche Spannungen, ob so ein BGE-Beschluss nun alle Chancen zunichte macht und Politikerreden, die nicht soviel anders sind, als die der anderen Parteien (vielleicht weniger und kürzer).

Mehr Themen hat man nun sicherlich, es stellt sich aber dennoch die Frage, ob eine thematische Breite reicht oder es nicht auch eine gewisse thematische Tiefe haben sollte. Denn so einfach, wie ein Thema zu Beginn scheinen mag, so einfach ist es nie.

Hier scheint daher viel Arbeit vor den Piraten zu liegen, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und sich nicht an den Rest der Parteienlandschaft anzugleichen. Das wird sicherlich nicht einfach, auch weil es da zudem unterschiedliche Meinungen innerhalb der Partei gibt.

Dann mal viel Glück dabei!

(PS: Hier noch die Liste der getroffenen Beschlüsse. Es wäre nett, wenn noch Links zu Hintergrundinformationen nachgetragen würden.)

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